Der hermeneutisch-pragmatische Pädagogikbezug

Edition Psychotherapie und Zeitgeschichte

Moderne Erziehung zur Hörigkeit?

Die Tradierung strukturell-faschistischer Phänomene in der evolutionären Psychologieentwicklung und auf dem spirituellen Psychomarkt.
Ein Beitrag zur zeitgeschichtlichen Introjektforschung in drei Bänden.


Hermeneutisch-pragmatischer Pädagogikbezug

Da vorliegende Studie eine Literaturstudie über Feldprojekte mit evolutionär-programmatischem Erziehungsanspruch ist, beruhen die für den strukturell-phänomenologischen Feldbezug der Studie so wichtigen Kategorienbildungsparadigmen vorrangig auf hermeneutisch-pragmatischen Struktursichtungsverweisen und Darlegungskriterien, die sich auf diese Evolutionsprogrammatik beziehen.
Sie wurden auf der Grundlage der acht Strukturperspektiven erarbeitet, wofür sehr verschiedene Schriften über den Untersuchungsgegenstand bzw. ein sehr breites Spektrum bereits vorhandener Studien, Aufsätze, Quellenrecherchen über die untersuchten Projekte und die zu ihnen gehörenden Evolutionsbewegungen einbezogen wurde.
Hierbei wurden noch niemals vorher beachtete Texte von Projektgründern einbezogen wie z. B. Schriften aus dem evolutionär-psychologischen Belehrungsprojekt von Th. Szasz und der scientologischen KVPM, deren Mitbegründer er war (Band 2, S. 319, 355 - 370, 377 - 575) oder die Schriften von K. Wilber und P. Loomans, die für die Entwicklung der Transpersonalen Psychologie in Deutschland (Rütte) nach Dürckheims Tod so wichtig waren (Band 2, S. 229 - 242, 261 - 313).
So konnten sehr verschiedene Blickwinkel (zeitgeschichtliche, religionswissenschaftliche, juristische und staatsrechtliche, soziologische und politologische, psychologische und sozialisationshistorische, pädagogische, journalistische etc.) einbezogen werden (Mehrperspektivitäts- und Interdisziplinaritätsprinzip).

Die so gewonnenen und über ausführliche Feldstrukturhinweise Einblick gebenden, hermeneutisch-pragmatischen Sichtungs- und Darlegungskriterien sollten nicht nur dem Erkenntnisgewinnungsinteresse der Studie und ihrem pädagogisch-aufklärerischen Kenntnisvermittlungsansatz dienen, sondern auch den pädagogischen Zielbezug des untersuchten Projektspektrums gegenstandsangemessen ausloten helfen.

Wegen dieser beiden Anliegen erfolgte eine Bezugnahme auf Flitners Pädagogikansatz (1958). Denn Flitner definierte ein hermeneutisch-pragmatisches, pädagogisches Anliegen als "engagierte Reflexion" am Standort der Verantwortung. Hierfür sollten seiner Meinung nach Interpretationskunst, empirische Tatsachenforschung, philosophische Prinzipiendiskussion und pragmatisches, pädagogisch orientiertes Denken in einer Spannungseinheit der Forschungsansätze und Methoden aufeinander bezogen bleiben.
Diesem Anliegen entspricht auch das Konzept der subjektiven Aneignung von Gesellschaft aus der qualitativen Sozialforschung (Fischer, Rosenthal 1996, S. 107), da dieses ebenfalls einem aufklärerischen Ethos verpflichtet ist. Beides harmoniert auch mit Perls' Aufforderung, einen klaren Standpunkt einzunehmen, wie er ihn 1944 für seine strukturelle Feldpsychologie bzw. Gestalttherapie formuliert hatte, wobei dieser hier die Differenzierungs- und Verantwortungsentwicklung fördern sollte.
Zudem sah Flitner den Gegenstand von Erziehung immer historisch und ethisch bestimmt. Dieses Verständnis passte sehr gut zum Ansatz und Anliegen der Studie. Denn es definierte einen wissenschaftlichen und ethisch-philosophischen Standpunkt, von dem aus das auf Erwachsene bezogene Erziehungshandeln im Untersuchungsspektrum gesichtet und hinsichtlich der Tradierung strukturell-faschistischer Facetten aus dem NS-Erziehungsfundus und seinem ideologischen Grundbestand angemessen untersucht werden konnte.

Diese Bezugnahme auf den Untersuchungsgegenstand ließ diesen auch als Gegenstand von pädagogischer Wissenschaft verstehen.
Dem entsprach eine fortlaufende, konkret sozialisationsfeldbezogene Informationssuche und Informationsvermittlung, eine konkrete Aufklärungsarbeit im Zeitgeschichtskontext, eine Reflexion von Sozialisationsprozessen auf der Grundlage entwicklungspsychologischer und sozialisationshistorischer Strukturperspektiven etc. (vgl. "Der Feldbegriff (...)" und "Die wichtigsten Strukturperspektiven").
Dies bestimmte das Interesse im Sichtungs- und Erörterungsbezug als interdisziplinär kenntnisgewinnungs- und kenntnisvermittlungsbezogenes Interesse, dem ein Standpunkt mit

  • konkret historischem Gesellschaftsentwicklungbezug,
  • normativ- sowie kurativ-ethischer und wissenschaftsethischer Ausrichtung und
  • emanzipativem Förderungsinteresse
zu eigen blieb. Er definierte einen auf mehreren Ebenen dargelegten Gegenstandpunkt zum pädagogischen Zielbezug im untersuchten Projektspektrum.

Denn während die untersuchte Pädagogikausrichtung
  • eine Erziehung erwachsener Menschen zu Neuen Menschen
  • im "absoluten Geschichtsbezug"
  • mit autoritärem und operationalem bzw. führungsgebundenem Werte- und Entwicklungsideal anstrebt, die
ein evolutionär-psychologisches Individuationsverständnis im WEGführungs-Gefolgschaftsbezug
  • mit manichäisch-dualistisch geprägtem Lebensüberwindungs- und göttlichem Selbstentwicklungsdiktum (im unsterblichen Thetan- oder Kristallleibbezug)
impliziert, zielt die Pädagogikausrichtung in der Studie auf
  • eine konkret historische und gegenstandsbezogene Kenntnisvermittlung und auf
  • ein thematisch darauf bezogen bleibendes, jedoch stets frei lassendes und emanzipativ orientiertes Förderungsinteresse, das auch vermitteln will, dass das eigene Leben und die Würdigung des Lebensstrukturerhalts einem jeden von uns Grenzen setzt, die respektiert werden müssen (siehe "Die fünf Ethikbezugnahmen").
Dieses Förderungsinteresse bezieht sich auf die gegenwartsgeschichtlich notwendige Verlebendigung der Demokratie im kritischen Zeitgeschichtsbezug auf den Zivilisationsbruch. Es nimmt hierzu den Wertebruch durch den Nationalsozialismus und im kritischen Gegenwartsbezug auch die neoliberale und globalisierungsbedingte Entwicklung ernst, die nicht nur eine Werteaushöhlung sondern auch noch Strukturbrüche größeren Ausmaßes provoziert.

Die verschiedenen Rechtsrutsche im Europa der 90er Jahre verweisen hierbei ebenfalls auf die niemals endende Notwendigkeit einer Verlebendigung der Grundrechte im zivilgesellschaftlichen Miteinander und in der Wissenschaftsentwicklung. Deshalb bezieht sich der hermeneutisch-pragmatische Pädagogikansatz der Studie auf einen zivilisatorischen Wertekontinuumbezug (Habermas Paulskirche 2000) und auf die bis heute relevant bleibende Notwendigkeit, patriarchale und lebensverachtende Herrschaftsstrukturen in Frage zu stellen und über die Generationen hinweg allmählich zu überwinden.

Dieses Interesse legt auch nahe, das psychagogische Handeln in den untersuchten Sozialisations- bzw. Projektfeldern im antithetischen Sichtungsfokus auf die Polarität "Binden - Lösen" (Perls) auszuloten und hierzu im zeitgeschichtlichen Hintergrundbezug auf die NS-Erziehung zum Neuen Menschen (Stichwort: "von der Wiege bis zur Bahre") die in der Studie erarbeiteten fünf Totalitätskriterien einzubeziehen. Hierfür wird ein strukturell-faschistischer Differenzierungsmodus berücksichtigt.
Die Studie reflektiert im Blick auf die Nachkriegsentwicklung aber auch die Übertreibung des anderen Pols, wofür auf die 20er Jahre zurückgeblickt wird.

Um das hermeneutisch-pragmatisch angelegte Pädagogikinteresse und den auf strukturell-faschistische Bewusstseins-, Identifikations- und Identitätsbildung und -tradierung bezogenen Felduntersuchungsansatz ethisch ankern zu können, wurden fünf ethische Bewertungsbezugnahmen ausformuliert.
Diese halten die Bedeutung einer auf reale Geschichtsprozesse bezogenen und diese Prozesse kritisch reflektierenden Ethik und die bewusste Bezugnahme auf ein gesellschafts- und wissenschaftsethisches Kontinuum (Habermas 2001) durch den Pädagogik-, Psychagogik- und Psychologiebezug selbst im Bewertungsansatz der Studie aufrecht.

Letzteres ermöglicht eine engagierte Bezugnahme auf die aktuelle Gesellschaftssituation (Flitner 1958), ohne darüber selbst einem pädagogisch programmatischen Anspruch und einem damit verknüpften Instrumentalisierungsbezug anheim zu fallen.

Die so hermeneutisch-pragmatisch geankerte, gesellschaftssituative Bezugnahme in der pädagogisch-strukturanalytischen Bewertungsperspektive betont das Interesse an einem Wertekontinuum im humanwissenschaftlichen Forschungs- und Praxiskontext themenspezifisch angemessen.