Die Folgen von NS, Shoa, Ausmerze, Verfolgung in den nachfolgenden Generationen für die institutionelle Gestalttherapie-Ausbildung weiter zugänglich machen
Die nachfolgenden Beiträge dienen dem Selbststudium oder als Lehrfundus und sollen nach und nach eine Wahrnehmungslücke (Perls' Skotom) in der ganzheitlichen Psychotherapieentwicklung, insbes. in der Gestalttherapie, schließen.
So können dann neben den spirituell-esoterischen Tradierungsphänomenen wie sie für die Nachkommen auf Täter-/ Mitläuferseite in der Studie erarbeitet wurden, auch die familiär entstandenen Tradierungsphänomene phänomenologisch erkannt, benannt und therapeutisch zugänglich werden.
Denn wie die Praxis immer wieder zeigte, stehen beide Tradierungsweisen oftmals in einem verborgenen Zusammenhang: hinter der Sehnsucht nach spirituellen Neubeheimatungen und Paradieswelten, göttlicher Führerschaft, Unverletzlichkeit, „Verantwortungsdelegation nach oben“ zeigten sich oftmals die langen Schatten einer unbewältigbaren Vergangenheit in den Familien und die Folgen des Schweigens darüber.
Dieses Schweigen zeigt sich auf Opfer- und Täterseite gleichermaßen und bewirkt(e) – obschon es jeweils sehr unterschiedliche Gründe hat - bei den Nachkommen auf beiden Seiten einen folgenreichen Hintergrund-Verlust.
Dieser ließ/ lässt diese Nachkommen all jene Beziehungserfahrungen, die sie mit ihren Eltern, Großeltern machten und die mit all den familiären Atmosphären und Verhaltensmustern in ihre Entwicklung hineinragten, weder dem dazugehörenden NS-, Verfolgungs-, Shoa- und Kriegs-Hintergrund zuordnen und vor diesem verstehen, integrieren noch die damit verbundenen und transgenerationell übernommenen Zuschreibungen und Altlasten von sich weg-rücken. So wirken NS und Shoa im familiären Alltagsleben wie über eine aus dem Bewusstsein gedrängte "zweite Realität" (Eckstaedt 1992, S. 112) bzw. wie über einen „Zeittunnel“ (Kestenberg 1995) in den Nachkommen weiter, was in deren Psyche, Kontakterleben, Zutrauen zu sich und anderen und in ihrem In-der-Welt-Sein tiefe Spuren hinterlässt. Diese Wirkkette kann erst durch den Einbezug dieses Hintergrunds mit all seinen realen Fakten und eine Auseinandersetzung damit abgemildert und unterbrochen werden.
Dieses transgenerationelle Weiterwirken blieb mit all seinen „Gefühlserbschaften“ auch in den psychotherapeutischen Aus- und Weiterbildungen oft genug unerkannt und unbeachtet, - auch in der Gestalttherapie (GT). Deshalb ist es mir sehr wichtig, endlich das Wenige, das hierzu von der GT erarbeitet wurde, an einem Ort zu sammeln und auffindbar zu machen. Hierzu gehört auch eine Pionierarbeit zu den weitgehend noch immer übersehenen Folgen für die Nachkommen in den Familien, in denen die Opfer- und Täterseiten aufeinanderstießen.
Da die Psychoanalyse die Folgen auf Opfer- und Täterseite schon seit langem erarbeitet hat, soll auch ein erster Überblick aus diesem Fundus vermittelt werden, was für einen Curriculum-Kontext ab und an theoretische Übersetzungsleistungen erforderlich macht.
Für den dazu gehörenden Gruppenkontext werden nicht nur die von Gestalttherapeut*innen zusammen getragenen Erkenntnisse mit einbezogen, sondern auch einige auf Lewins Feld- und Gruppenansatz basierende gruppendynamische Einsichten und Anregungen.
Und weil die Erkenntnisse aus der GT und Psychoanalyse überwiegend aus Einzeltherapien stammen, werden auch sozialpsychologische und sozialisationshistorische Erkenntnisse mit zur Verfügung gestellt.
Dass sich in das transgenerationelle Weiterwirken von NS und Shoa auch das Weiterwirken von Kriegs- und Fluchttraumata mischt, ist nochmals ein eigenes Thema. Denn in Deutschland war lange nur von letzterem die Rede. Dies hatte Leugnungspotenzial und sollte das Auseinanderbrechen der Generationen bannen, die eigene Teilhabe an den Verbrechen der NS-Diktatur, Scham und Schuld, aber auch die eigene Verführbarkeit verdecken. Dies blockierte nicht nur eine tiefere innere Auseinandersetzung mit all dem und auf dieser Basis auch einen echten Dialog zwischen den Generationen, sondern hat bis heute auch eine problematische politische Dimension, die immer bedrohlichere Ausmaße annimmt.
Es ist an der Zeit, dass sich auch die ganzheitliche Psychotherapie all diesen Problemen stellt. So steht auch für die Aus-/ Weiterbildung in der ganzheitlichen Psychotherapie eine curriculare Integration all der bisher gewonnenen Erkenntnisse über die transgenerationellen Folgen von NS-Diktatur, Shoa, Entrechtung, Verfolgung, Ausmerze an.
Die Vorarbeiten hierzu finden Sie in den Beiträgen mit Theorie-Input- und Lehrmaterialien-Hinweisen und die wissenschaftlich interdisziplinären Anschlussmöglichkeiten in der Studie.
A. Beiträge für ein Gestalttherapie-Curriculum zum transgenerationellen Weiterwirken von NS und Shoa
1. Lehrmaterialen, Anregungen, Theorie-Inputs, Exzerpte für Workshops/Fortbildungen zum Thema Weiterwirken von NS, Shoah, Krieg in den nachfolgenden Generationen
1.1 Ein Input aus Gestalttherapie und Psychoanalyse
Was durch das Schweigen hindurchwirkt und wie. Definition – Kontext - Dimension
Theorie-Input des 1. D-A-CH-Fortbildungs-/WE-Seminars 01. -03. März 2024 in Nürnberg/ Künstlerhaus zum Thema: Transgenerationelles Weiterwirken von NS, Shoa, Verfolgung, Krieg für gestalttherapeutische (Lehr-)Therapeut* Innen von Karin Daecke.
In diesem Input wird eine erste Übersetzung des zentralen psychoanalytischen Konzepts der transgenerationell wirksam werdenden „Gefühlserbschaften aus dem NS und dem Überleben der Shoa“ in die Terminologie und in das Verständnis von psychischen Wirkphänomenen in der Gestalttherapie vorgestellt und tiefer gehend weitervermittelt. Dies ist oft Neuland. Dieses zu betreten, erfordert Mut, unser Herantasten, manchmal auch neue Worte.
Denn die mit NS und Shoa verbundenen Traumata, Schuld- und Schamgefühle wurden im Familienkontext oftmals lange verdrängt und das Schweigen darüber durchzieht die Generationen. Dieser Hintergrundverlust reicht bis in die Ausbildungsinhalte. Die mit dem Tabuisierten verbundenen Atmosphären, nicht zuordenbaren Gefühle und Verhaltensweisen haben für die Nachgeborenen oft weit reichende Folgen. Mehr darüber zu wissen und sich diesem Thema in der eigenen Familie zu stellen, hilft, wichtige Zusammenhänge für das eigene Leben besser verstehen und in der therapeutischen und beraterischen Arbeit auch gebührend berücksichtigen zu können. Machen wir den Anfang hierzu - gemeinsam.
Gefühlserbschaften von NS und Shoa und andere Hinterlassenschaften Vortrag von K. Daecke (überarbeitete Version) im gleichnamigen Workshop mit Cornelius Voigt auf der DVG-Tagung "Mitten im Fluss oder am Ufer? Die Bedeutung der organismischen Selbstregulation in Gestalttherapie und Beratung", 2022 in Nürnberg;
Hier wird auf die verschiedenen transgenerationellen Tradierungs- und Weiterwirk-Ebenen geblickt, einschließlich der Folgen von Kriegs- und Entwicklungstraumata. Letztere wurden durch die rigide und Empathie verweigernde NS-Säuglingserziehung (nach Haarer) induziert und haben von erster Stunde an die organismischen Selbstregulationsprozesse der Säuglinge und Kleinkinder gestört. Das Arbeiten in diesem Feld benötigt ein Holding-Setting, das hier konkret angeregt wird (Beispiele).
Gefühlserbschaften - Theorie-Input Vortrag von K. Daecke im Workshop „Weiterwirken von NS und Shoa in der nachfolgenden Generationen auf Täter-/ Mitläufer- und auf Opfer-/ Überlebendenseite“ (Nancy Amendt-Lyon, Michael Kösten, Karin Daecke) mit Kurzübersicht und Literaturliste - Digitale D-A-CH- Gestalt-Therapie-Tagung, Mai 2021
Weiterwirken von NS und Shoa in der nachfolgenden Generationen - auf Täter-/ Mitläuferseite - Karin Daecke (© Teile II. - III.), Workshop (Essen-Tagung der DVG, 2019):
Seminar- und Lehrgangsmaterialen zum Thema Weiterwirken von NS, Shoah, Krieg in den nachfolgenden Generationen auf Überlebenden- und auf Täter-/Mitläuferseite
Exzerpt von DAS KOLLEKTIVE SCHWEIGEN. Nationalsozialistische Vergangenheit und gebrochene Identität in der Psychotherapie - von Barbara Heimannsberg und Christoph J. Schmidt (Hrsg. 1992)
Karin Daecke (2020). Aus dieser ersten GT-Veröffentlichung zum Thema werden die schulen-übergreifend zusammengetragenen, symptomrelevanten Weiterwirkphänomene aus der NS-Vergangenheit - mit den hierfür benannten sozialisationshistorischen Hintergrundfakten - und die zentralen Aussagen zu einem auf Weiterwirkphänomene bezogenen psychotherapeutischen Arbeiten zur Übersicht gebracht (aus Beiträgen von B. Heimannsberg, Chr. Schmidt, I. Anhalt, A. Massing, I. Wielpütz, W. Behrendt, W. Bornebusch, G. von Schlippe, H. Salm, R. Picker, M. Hecker, S. Chamberlain, und D. Bar-On u.a.).
Lehrmaterialien-Fundus: Psychoanalytische Erkenntnisse zum Transgenerationellen Weiterwirken von NS, Shoa, Krieg auf Opfer- und Täterseite.
Karin Daecke (© 2021). Der Beitrag führt in die Grundlagen der psychoanalytischen Erforschung des transgenerationellen Weiterwirkens von NS, Shoa und Krieg ein und stellt die hierfür zentralen PA-Begriffe, -Konzepte, Verstehenszugänge, Differenzierungsnotwendigkeiten und forschungsrelevant eingehenden anderen Erkenntniszugänge vor. Er bezieht all dies immer wieder impulsorientiert auf GT-Konzepte - reflektiert z.B. das Schweigen auf Täter- und Opferseite als gesellschaftlich mitgetragenes symptomlastiges Tradierungs- und Hintergrundverlust-Phänomen. Er blickt kritisch auf die erarbeiteten Differenzierungen symptomatisch ähnlicher und in der PA sogar gleich benannter jedoch vollkommen unterschiedlich entstandener Folgeerscheinungen in den nachfolgenden Generationen und bietet hierzu einen Überblick für die Überlebenden- und Täter-/ Mitläuferseite.
1.2 Auf Lewins Feld- und Gruppenansatz zurückgehende gruppendynamische Erkenntnisse und Anregungen
Workshop-Praxisanregung: "Gruppenverstehen und Einfluss nehmen. Ein Lern-, Handlungs- und Erlebnisraum"
von Frank Stähler. In: Stähler, F., & Stützle-Hebel, M. (Hrsg.). (2018). Demokratie machen. Gruppendynamische Impulse. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme (65 - 75).
Hier geht es nicht nur um den konzeptionellen Zusammenhang zwischen Demokratie- und Gruppendynamikprozessen und deren Fundierung sondern auch um den Umgang mit der Überlagerung thematischer Klärungsprozesse durch die, in denen es um das Verhandeln der Macht durch die Lauten und die Ohnmacht der Stilleren geht, um die Bedürfnisklärungen, die auftretenden Konfliktvermeidungsstrategien und Genderthematiken etc.
Workshop-Praxisanregung: "Eine Mauer des Schweigens und der Umgang damit. Gruppendynamische Interventionen im Umgang mit einer interkulturellen Großgruppe"
von Asiye Balikҁı-Schmidt. In: Stähler, F., & Stützle-Hebel, M. (Hrsg.). (2018). Demokratie machen. Gruppendynamische Impulse. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme (115 - 120)
In diesem Beitrag geht es beispielhaft um den Umgang mit kulturell gesellschaftlich bzw. politisch aufgeladenen Tabuthemen, die das Potenzial haben, den Gruppenprozess zu blockieren. Was hierzu aufgezeigt wird, eignet sich auch für die möglicherweise im Gruppenprozess auftretenden Blockaden rund ums transgenerationelle Weiterwirkthema.
2. Bisher veröffentlichte Buch- und Zeitschriftenbeiträge zu NS, Shoa und den Weiterwirkphänomenen - eine Auswahl
2.1. Ein Input aus der Gestalttherapie
Holocaust, Trauma und transgenerationale Weitergabe
Dieser Artikel von Amelie Mödlinger (zuerst veröffentlicht in GESTALTTHERAPIE 2022/Heft 1, 36. Jahrgang, S. 3 - 24) beleuchtet die theoretischen Aspekte von Trauma, Traumafolgestörungen und transgenerationaler Weitergabe der Traumata von Opfern des Nationalsozialismus. Die Autorin berichtet in persönlichen Passagen über ihren Vater, der den Holocaust überlebte, sowie über ihre Erfahrungen des transgenerationellen Weiterwirkens in ihrer Familie.
Das Heil der Konfrontation. Die Nachwirkungen der Täter des Nationalsozialismus auf die dritte Generation aus dem Blickwinkel der Gestalttherapie
Nina Diesenberger (ehemals Hölzl), 2009, Abschlussarbeit (SFUWI09011327). In dieser Arbeit werden die transgenerationellen Folgen der NS-Diktatur für die Enkel-Generation benannt und im Hinblick auf die Lücken und Brüche im Familiengedächtnis reflektiert. Hierfür setzt sich die Autorin auch nochmals mit zentralen Begriffen der Gestalttherapie auseinander und ermutigt die Leser*innen beispielhaft zu einer eigenen Familienrecherche.
Gestalttherapie und Geschichte. Brüche in der deutschen Erzähltradition.
Kirsten Roessler (1996), Doktorarbeit im Fachbereich Psychologie der Universität Bremen
Diese Arbeit setzt sich interdisziplinär mit der Abwehr gegenüber der Bewusstwerdung der NS-Vergangenheit und mit der hierzu gehörenden Derealisation von Schuld bis in die nachfolgenden Generationen auseinander. Sie bringt die Möglichkeiten zur Bearbeitung, Thematisierung von all dem in der Therapie in den Überblick und vergleicht die hierfür benötigten konzeptionellen Zugänge in Psychoanalyse, Humanistischer Psychologie und Gestalttherapie.
Nachdenken über Nachkommen der Täter(innen) und Mitläufer(innen) im Nationalsozialismus
Dieser Beitrag von Hilde Heindl (in Gestalttherapie 2006, 20/2, S. 74 - 87) verdeutlicht mit seinen zahlreichen Praxisbeispielen, was bereits in den Theorie-Inputs (GT-Workshop-Fundus II., III. IV.) zur Übersicht gebracht und begrifflich erörtert wurde. Er beschreibt auch die uns Nachgeborenen der 2. Generationen so "normal" erscheinenden emotionalen Folgen gut nachvollziehbar.
Exzerpt von DAS KOLLEKTIVE SCHWEIGEN. Nationalsozialistische Vergangenheit und gebrochene Identität in der Psychotherapie - von Barbara Heimannsberg und Christoph J. Schmidt (Hrsg. 1992)
Aus dieser ersten GT-Veröffentlichung zum Thema werden die schulenübergreifend zusammengetragenen, symptomrelevanten Weiterwirkphänomene aus der NS-Vergangenheit - mit den hierfür benannten sozialisationshistorischen Hintergrundfakten - zur Übersicht gebracht. Dies gilt auch für die zentralen Aussagen über ein auf Weiterwirkphänomene bezogenes psychotherapeutischen Arbeiten.
Dies oll nicht davon abhalten, die Beiträge von B. Heimannsberg, Chr. Schmidt, I. Anhalt, A. Massing, I. Wielpütz, W. Behrendt, W. Bornebusch, G. von Schlippe, H. Salm, R. Picker, M. Hecker, S. Chamberlain, und D. Bar-On u.a. selbst zu lesen. Das Buch von Barbara Heimannsberg und Christoph J. Schmidt (Hrsg. 1992, erweiterte Ausgabe, EHP, Köln) ist noch beim Verlag erhältlich.
2.2. Ein Input aus der Psychoanalyse
Zum psychoanalytischen Verständnis transgenerationaler Übertragungen.
Angela Moré (2018d; In: SANP (Swiss Arch. Neurol. Psychiatr. Psychother. 169:2018 (8), Seite 232-240): Dieser Beitrag vermittelt die psychoanalytischen Vorstellungen von transgenerationeller Tradierung auf Täter- und Opferseite, die auch die Säuglings- und Bindungsforschung mit einbeziehen. So wird klarer, was unter der Verzahnung des psychischen Raums von Eltern und Kindern oder dem Ineinanderrücken der Generationen zu verstehen ist.
Die unbewusste Weitergabe von Traumata und Schuldverstrickungen an nachfolgende Generationen.
Angela Moré (2013), Journal für Psychologie, 21/2, Seite 1-34. Dieser Beitrag führt weiter aus, was A. Moré bereits in ihrem Artikel Gefühlserbschaften. Die verborgene Sprache zwischen den Generationen in der GESTALTTHERAPIE (2006, 20/2, Seite 74 - 87) zu vermitteln begonnen hat. Er differenziert dabei sowohl den Generationen- als auch den Trauma-Begriff für die Täter-/ Mitläufer- und die Opfer-Nachfahren und bezieht für die Weitergabe von Traumata auch die Kriegstraumafolgen mit ein.
Übermittlung von Täterhaftigkeit an die nachfolgenden Generationen
von J. Müller-Hohagen (aus ebenda: Radebold, Bohleber, Zinnecker (Hrsg. 2008, S. 155 - 164): Transgenerationale Weitergabe kriegsbelasteter Kindheiten. Interdisziplinäre Studien zur Nachhaltigkeit historischer Erfahrungen über vier Generationen. Weinheim: Juventa, 2008, S. 155 - 164)
Ein Diskussionsbeitrag für diesen curricularen Fortbildungskontext und ein Erfahrungsbericht aus der Therapie- und - Erziehungs-/ Familien-Beratungsarbeit. Der Autor betrachtet das an den Rand drängen eines Kindes in der Familie und sein Auffällig-Werden im Kontext verdrängter transgenerationeller Übernahmen von Täterhaftigkeit und unbewussten Loyalitäten mit Nazi-Tendenzen und verbindet diese kritisch mit dem allgegenwärtigen Trauma-/ Opferbezug.
Gegenübertragung nach 1945 - fragmentarische Annäherungen
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Dr. Jürgen Müller-Hohagen; In Luzifer-Amor. Zeitschrift zur Geschichte der Psychoanalyse. Geschichte der Gegenübertragung (1995/ 15, S. 109-141) Tübingen Dieser Beitrag reflektiert die Notwendigkeit des Einbezugs der Vergangenheit von NS und Überleben von Shoa, politischer Verfolgung in der Vergangenheit der Klient*innen und hebt hierzu den Wert eines psychotherapeutischen Arbeitens auf der Grundlage von Übertragung und Gegenübertragungsgefühlen, -impulsen hervor, um unbewusste Übertragungen im Sinne einer unbewussten Komplizenschaft mit den Täteranteilen bei den Klient*innen zu vermeiden. Der Autor veranschaulicht dies alles auch an einem Beispiel aus seiner eigenen Praxis und lässt hierzu auch die Patientenerfahrung zu Wort kommen.
2.3. Weiterführende Literatur
3. Bis heute meist übersehen: Die Nachwirkungen bei Kindern/ Enkeln mit nur einem jüdischen (Groß-)Elternteil
Einleitung:
Da es meist jüdische Kolleg*innen waren, welche die NS- und Shoa-Folgen und deren Weiterwirken in den jüdischen Familien erforscht haben, blieben die Folgen für Familien, in deren Verwandtschaftsfeld beide Seiten aufeinanderstießen, bis heute nur marginal erforscht. Hier wurde anscheinend nicht weiter differenziert, zumal genügend Familien mit dieser Struktur in Ghettos, Judenhäuser und KZs verschleppt wurden. Wie viele Menschen/ Familien hier bislang ausgeblendet blieben, ist unbekannt. Ich vermute, dass ihre Anzahl nicht gerade klein ist. Und wie viele Kinder der Ermordung durch Nazis ausgeliefert waren, weil sich ein Elternteil dem NS-Rassegesetz folgend vom jüdisch geltenden Partner hatte scheiden lassen, worüber diese Trennungskinder dann amtlich erfassbar geworden waren, machte uns erst kürzlich die digitale Sonderausstellung zur NS-Kinder-„Euthanasie“ in Hadamar „Mutti nimm mich mit nach Haus.“ „Jüdische Mischlingskinder“ in der Tötungsanstalt Hadamar 1942 - 1945 bewusst.
Doch wie eine Hinwendung an diese Überlebenden-Gruppe nun zeigt, ist es viel komplizierter. Denn über das „Jüdisch-Sein“ in den Familien mit nur einem jüdischen Elternteil entschieden die Nazis, wobei ab 1942 die Familien mit jüdischen Vätern/ Ehepartnern früher selektiert wurden als die anderen, in denen die Mutter und Ehefrau jüdische Wurzen hatte. Über das Ausmaß der hier trotzdem für alle Familienangehörigen geltenden Gefahren für Leib und Leben, über den Grad ihrer Gefährdung, ihre soziale Anerkennung, ihren Status zu verlieren oder sozialer Ächtung, Verfolgung, KZ-Abtransport, Vernichtung ausgesetzt zu sein, entschieden Zuschreibungen, die zwischen „Jude“, „Halb-Jude“, „Viertel-Jude“ etc. „jüdisch aussehend“, „jüdisches versus deutschblütiges“ Verhalten unterschieden, was einen extremen inner- und außerfamiliären Assimilierungs- und Geheimhaltungsdruck bewirkte und sowohl intra- wie interpersonale Spaltungen großen Ausmaßes nach sich zog.
Hierzu arbeitet eine GT-D-A-CH-Forschungsgruppe. Hier wurde deutlich: wer aus einer solchen Familie kommt und das Wannsee-Protokoll nicht kennt, wird kaum eine Chance haben, aus dem schlau zu werden, was anhand von Nachlässen aus dem Familienhintergrund endlich bekannt wird, warum es zu „freiwilligen Sterilisationen“ der Söhne kam, warum in der Familie so viel Bewertung, Unversöhnlichkeit und Angst herrscht oder warum ganze Teile der Familie nie persönlich kennengelernt werden konnten, weil sie nicht zu existieren schienen.
In diesen Familien ist die Erforschung des verschwiegenen Familienhintergrunds und der damit verbundenen transgenerationellen Weiterwirkfolgen wegen des bis heute anhaltenden Assimilierungs- und Verheimlichungsdrucks (auch den eigenen Nachkommen gegenüber) besonders schwierig. Dieser Teil des Curriculums will das Wenige zusammentragen, was bisher bekannt ist und die persönliche Recherche darüber unterstützen.
3.1. Ein Beitrag aus der Gestalttherapie
Holocaust, Trauma und transgenerationale Weitergabe Dieser Artikel von Amelie Mödlinger (zuerst veröffentlicht in GESTALTTHERAPIE 2022/Heft 1, 36. Jahrgang, S. 3 - 24) beleuchtet die theoretischen Aspekte von Trauma, Traumafolgestörungen und transgenerationaler Weitergabe der Traumata von Opfern des Nationalsozialismus. Die Autorin berichtet in persönlichen Passagen über ihren Vater, der den Holocaust überlebte, sowie über ihre Erfahrungen des transgenerationellen Weiterwirkens in ihrer Familie. Dieser Beitrag bezieht sich nicht explizit oder strukturell phänomenologisch auf die Besonderheiten, die entstehen, wenn beide Seiten in der Familie aufeinandertreffen bzw. auf die hierdurch oftmals entstehenden Verwerfungen im Miteinander. Er beschreibt diese Situation jedoch anschaulich, einschließlich der transgenerationellen Auswirkungen, weshalb wir diesen Beitrag in dieses Unterkapitel des Curriculums gestellt haben.
Zwischen zwei Welten. Täter und Opfer des Nationalsozialismus innerhalb einer Familie
von Nina Diesenberger (Mag., Diplomarbeit, Wien, 2015), Lehrtherapeutin für Integrative Gestalttherapie/ ÖAGG);
Hier wird die Fachliteratur zu diesem Thema aufgearbeitet. Zunächst wird auf die Folgen von NS-Verfolgung und Shoa bei den Überlebenden und deren Nachkommen eingegangen und dann hierzu auch auf die Täter-/Mitläuferseite geblickt. Denn die Nachkommen, in deren Familien sowohl Täter/Mitläufer/ NS-Identifiziert-Gebliebene als auch Überlebende von NS, Shoa, Verfolgung, Zwangsarbeit aufeinanderstießen, mussten mit den Nachwirkungen aus beiden Erfahrungswelten aufwachsen und mit all den daraus resultierenden Spannungen und Konflikten fertig werden. Die einst entstandenen Schweigemauern, Rückzugsstrategien, Überforderungen, Ängste, Ambivalenzen und Beziehungsabgründe bedingten spezifische Identitätsbildungsprobleme, die erst einmal vor dem dazu gehörenden Hintergrund erkennbar werden müssen, um überwachsen werden zu können. Was Therapien hierzu berücksichtigen und leisten müssen, wird mitbenannt und theoretisch fundiert erörtert.
3.2. Beiträge aus der Psychoanalyse
Transgenerationelle Folgen von Verleugnung und von Täterschaft: Familien von Überlebenden der Shoah - Familien von Nazi-Tätern von Gabriele Rosenthal (2001; In Streeck-Fischer, A. / Sachsse, U. / Özkan, I., Vandenhoeck & Ruprecht); Hier werden anhand von Beispielen transgenerationell wirksam werdende Ausgangsbedingungen in den Familiengeschichten deutlich, - auch die, wenn innerhalb einer Familie Überlebende der NS-Vernichtung und NS-Täter-/Mitläufer aufeinander stoßen. So zeigt sich, wie unterschiedlich und stark sich der jeweilige Familienhintergrund auf das Leben der Nachgeborenen auswirkt - insbesondere wenn Familiengeheimnisse herbei eine zentrale Rolle spielen.
Weitere Literatur zum Thema Beide Seiten im Familienhintergrund3.3. Identitätsfindungsprozesse in Familien mit beiden Seiten - ein Forschungsthema
Beidseits von Auschwitz. Identitäten in Deutschland nach 1945
von Nea Weissberg und Jürgen Müller-Hohagen (Hg.)
In diesem Buch kommen die Identitätsbildungsprozesse von Nachkommen auf Täter- und auf Überlebendenseite zur Sprache, wobei auch die verschiedenen Entwicklungshintergründe in West- und Ostdeutschland mitberücksichtigt werden. Die Autorinnen und Autoren, geboren zwischen 1935 und 1987, mit einer Herkunft aus Deutschland (BRD, West- und Ost-Berlin), der Schweiz, Rumänien, Österreich, Polen und Israel, beschreiben nachdrücklich, wie sie mit diesem Erbe umgehen, um ihre eigene und die historische Wahrheit erkennen und einordnen zu können.
Jüdisch sein zu müssen, ohne es wirklich sein zu können - Ein Identitätsdilemma im Lichte des Holocaust" Von Peter Pogany-Wnendt in: Psychoanalyse. Texte zur Sozialforschung (2012-1/28); Der Autor befasst sich mit den Auswirkungen jüdischer Identität nach dem Holocaust und fragt nach dessen Bedeutung für sich als Nachkomme der 2. Generation, für seinen Identitätsbildungsprozess und seine Familie heute, in der es nur einen jüdischen Elternteil gibt. Der Autor ist Vorsitzender des PAKH und eines seiner Gründungsmitglieder.
Die digitale Sonderausstellung zur NS-Kinder-Euthanasie „Mutti nimm mich mit nach Haus.“ „Jüdische Mischlingskinder“ in der Tötungsanstalt Hadamar 1942 - 1945 bezeugt die Tötung sogenannter „halbjüdischer“ Kinder in Hadamar, deren Eltern durch die NS-Rassengesetze auseinandergerissen worden waren und so unter diesem Vorwand in eine nur zum Schein, d.h. nur auf dem Papier existierende „Kinderabteilung“ gesteckt werden konnten. Darüber hinaus wurden in Hadamar in sog. T4-Aktionen von 1941 bis 1945 fast 15.000 Menschen ermordet. Ihr Schicksal besiegelte eine Identitätszuschreibung von Seiten der Nazis, die nichts mit der Wirklichkeit der Getöteten oder ihrer eigenen Identität zu tun hatte.
Das Wannseekonferenz-Protokoll und seine Bedeutung für die transgenerationelle Forschung und die persönliche Familienrecherche
Ein Beitrag von Karin Daecke (2022) ©, der einen umfassenden Faktenhintergrund für die NS-Zuschreibungen und die damit verbundenen potenziellen Identitätsbrüche und -probleme bietet.
Zur Existenzbedrohung, Verfolgung und Ermordung von Menschen mit jüdischen Wurzeln - Eine Übersicht im Raster der Entwicklung der NS-Diktatur
zusammengetragen von Karin Daecke (2022); Hier wird schwerpunktmäßig auf die Situation von Menschen mit jüdischen Wurzeln geblickt. Mitbetroffen waren genauso auch die politischen Gegner, die Sinti und Roma, Obdachlose, die Opfer der Ausmerze-Politik wie z.B. Behinderte und psychisch Kranke sowie Homosexuelle etc.. Auf diese Gruppen sollte nochmals gesondert hinsichtlich der Verschärfung ihrer existenziellen Bedrohung geblickt werden. Dies wird in diesem Beitrag nicht geleistet.
Hilfe bei der Recherche zum Familienhintergrund
Da es so schwierig ist in diesen Familien den Hintergrund zu recherchieren, hier eine Hilfestellung.
3.4. Forschungsgruppe
Obwohl nicht wenige Menschen beide Seiten in ihrer Familie haben, ist der Forschungsstand hierzu mehr als bescheiden. In diesen Familien überlagern und vermengen sich im transgenerationellen Weiterwirken die Folgen von NS, Verfolgung, Shoa, Krieg, Flucht auf Täter-/ Mitläuferseite und auf Überlebenden-Seite, wobei noch eine dritte Überlagerungs- und Weiterwirkschicht hinzukommt. Diese beruht darauf, dass wegen vollzogener Assimilierung gar keine jüdische Identität mehr in der Generationenfolge vorhanden war und die authentisch erlebte Identität durch die NS-Gesetze jäh außer Kraft gesetzt worden war, was Verwirrung, Angst, Spaltung, Sich-Verbergen bzw. -Unsichtbar-Machen etc. auslöste. Diese dritte Schicht zeigt nochmals ganz eigene Folgen und Weiterwirkphänomene.
Sich auf diesen drei Ebenen auszukennen und ihr komplexes Ineinanderwirken mit-sehen zu lernen, hilft ganz entscheidend, hartnäckige Probleme neu zuordnen und nach und nach über entsprechende Auseinandersetzungsprozesse abschwächen oder gar auflösen zu können.
Die zu diesem Thema länderübergreifend zusammenkommende Pioniergruppe versucht, die für diese Familien so typische Komplexität der Weiterwirk-Phänomene und Probleme anhand der Erforschung ihrer Entstehungshintergründe in den eigenen Familien persönlich zu erfassen, sie in ihrem Weiterwirken tiefergehend zu verstehen und die Essenz dieser Erkenntnisse für die Gestalttherapie zu versprachlichen, wofür der Erkenntnisertrag aus der Fachliteratur entsprechend mit einfließt.
In dieser forschungsorientierten D-A-CH-Pioniergruppe geht es uns darum
- das gesamte transgenerationelle Themenfeld in die Lehre, Fort- und Ausbildung zu tragen und hierzu Veranstaltungen und andere Weiterbildungsmöglichkeiten anzubieten; siehe hierzu auch die vielen Beiträge in diesem Curriculum zum Selbststudium und als Workshop- und Seminar-Fundus
- die bestehende Literatur auf der Grundlage der eigenen Familienerfahrungen und -recherchen zu sichten und die uns auffallenden und phänomenologisch bedeutsamen Strukturtypologien des transgenerationellen Weiterwirkens von NS, Shoa, Verfolgung, „Ausmerze“-Politik (Krankenmorde etc.) und Krieg für die GT und ihre Theorie- und konzeptionelle Praxeologie-Entwicklung zu erfassen, was auch bedeutet
- diese Erkenntnisse nach und nach für ihre Integration auf der Grundlage der Theoriebildungstradition in der Gestalttherapie sowie im Blick auf unsere GT-Basics zu erörtern und mit der Zeit auch die Ergebnisse unserer Diskussionen über Beiträge oder Workshops praxis- und theoriebasiert weiter zu vermitteln.
Hierbei interessieren uns besonders die Weiterwirkphänomene in Familien, in denen beide Seiten zusammenstießen: die Täter-/ Mitläufer und die Überlebenden mit jüdischen Wurzeln oder mit NS-Zuschreibungen, die als Juden verfolgt und in KZs oder Arbeitslager verschleppt wurden, ohne dass sie selbst eine jüdische Identität entwickelt oder gemäß jüdischer Glaubenskultur zusammengelebt hätten.
Die Folgen und Weiterwirkphänomene müssen besser erforscht und die Kenntnislage erweitert werden. So hängt z.B. die Möglichkeit, die Weiterwirkphänomene wahrnehmen zu können, sehr stark davon ab, ob man mehr über die Nürnberger Gesetze, die NS-Verordnungen und über die Beschlüsse der Wannsee-Konferenz weiß.
Kontakt
4. NS-Vernichtungspolitik gegenüber nicht anpassungswilligen, psychisch kranken und geistig/ körperlich behinderten Menschen
Einleitung
Was in vielen Ländern bereits im Namen der „Eugenik“ als Eindämmungs- und Selektionspraxis gegenüber körperlich und/ oder geistig behinderten oder als „minderwertig“ stigmatisierten Menschen mittels Zwangssterilisation vor 33 begonnen worden war, wurde in der NS-Diktatur ab 1940 unter der Leitung der Berliner Zentrale in der Tiergartenstr. 4 unter der Chiffre T4 zur systematischen Selektion durch Tötung. Betroffen waren nicht nur unangepasste und auffällige Jugendliche und Kinder, sondern auch psychisch kranke und geistig sowie körperlich behinderte Menschen. Die Zwangssterilisationen wurden selektions-ergänzend hierzu jedoch weitergeführt: bis 1945 wurden insgesamt 400 000 Menschen, darunter auch Kinder (z.B. lediglich mit Gehörlosigkeit) und Jugendliche zwangssterilisiert.
Ab August 1941 wurde die zentrale Selektion durch Tötung offiziell ausgesetzt, um der NS-Diktatur Arbeitskräfte zu erhalten. Ab da wurde „dezentral“ weiter getötet und die für die T4-Tötungen eigens ausgebauten Krankenanstalten wurden inoffiziell unter der Deck-Chiffre Aktion 14f13 auch noch zur Tötung arbeitsunfähiger, jüdischer, politisch unerwünschter, als asozial geltender und geisteskranker KZ-Häftlinge weitergenutzt. Insgesamt wird von der Ermordung von insgesamt über 300.000 Opfern ausgegangen (Jacherts Norbert).
Um diese von der Zwangssterilisation bis zur Tötung reichenden und alle Schichten der Bevölkerung erfassenden Maßnahmen zu sichern, waren auf der einen Seite eigens Ämter, Gesetze, Erlasse etc. geschaffen worden, und auf der anderen Seite wurde von Anfang an die Tatsache vertuscht, dass der Tod bei den Betroffenen aller Altersgruppen absichtlich herbeigeführt wurde (ebenda). Flankiert wurde dies durch eine umfassende Propaganda (sogar mit Spielfilmen), die eine Akzeptanz für „rassenhygienische Maßnahmen“ herstellen sollte, wofür das Rassenpolitische Amt der NSDAP zuständig war.
Auf der andren Seite gab es den von Himmler gegründeten und 1935 der SS unterstellten „Lebensborn e.V.“, in dem er die Existenz des „arischen Herrenmenschen“, des Neuen Menschen (Bauerkämper Arnd (2017) . ) gesichert sehen wollte – sozusagen als Gegenpol zum „minderrassig“ Auszumerzenden. So wurden auch hier behinderte Neugeborene gleich nach der Geburt getötet. In den Lebensborn-Entbindungs- und Kindereinrichtungen sollten vor allem die Kinder aus außerehelichen Beziehungen für den Staat erhalten bleiben. Dieses Angebot (mit Geheimhaltung von Schwangerschaft und Geburt/ Adoption) diente zusammen mit dem strikten Abtreibungsverbot der Sicherung des für das angestrebte Wirtschaftswachstum nötigen Arbeitskräftezuwachses (Liliental Georg), - der hohe Geburtenschwund nach dem 1. Weltkrieg mit seiner hohen Abtreibungsrate sollte gestoppt werden.
Obwohl so viele Familien von der NS-„Euthanasie“ betroffen waren, dauerte es sehr lange, bis dieses düstere Kapitel ins öffentliche Bewusstsein gelangte. Hierzu musste erst die Rolle der in die systematischen Tötungen verwickelten Psychiatrien vor Ort aufgedeckt werden und was Psychiater/ Psychiaterinnen dazu bewogen hat, bei diesen Selektions- und Tötungsaktionen mitzumachen. Hierzu leistete Prof. Dr. v. Cranach Pionierarbeit, die im Jahr 2022 bis auf Bundestagsebene Beachtung fand.
Die Auseinandersetzung damit markierte für die psychiatrische Versorgung so etwas wie einen „Turning Point“, denn ihr folgten wichtige Psychiatriereformen.
Als ich Prof. Cranach am Telefon fragte, was er den auszubildenden, künftigen Psychiatern und Psychologen etc. in Psychiatrie und psychosozialer Versorgung ans Herz legen wollte, empfahl er diesen, sich mit der ihnen in diesen Berufen den Betroffenen gegenüber zur Wirkung kommenden Macht stets bewusst zu sein und mit zu bedenken, was diese unter sich entsprechend wandelnden gesellschaftlichen Machtverhältnissen alles bewirken könnte.
Was bislang noch gänzlich fehlt, ist die psychotherapeutische Auseinandersetzung mit den Folgen der Vernichtungspolitik für die Angehörigen und deren transgenerationelles Weiterwirken in den Familien. Und so haben sich hier Nachkommen die Mühe gemacht, den Leser*Innen und Lernenden dieses Curriculums ihre Erfahrungen mit und in ihren Familien zur Verfügung zu stellen. Dies geschieht in Form anonymisierter biografischer Beiträge, für die ich an dieser Stelle nochmals herzlich danken möchte.
4.1. Basis-Informationen
Wissenschaftlich, progressiv? Mordprogramm Eugenik von Christiane Oriah Faschon (2023).
Die Vernichtungspolitik der Nazis gegenüber nicht anpassungswilligen, psychisch kranken und geistig und/ oder körperlich behinderten Menschen entstand nicht im „luftleeren Raum". Dieser Artikel beschreibt, dass dieser von den Nazis „Ausmerze“ genannten Vernichtung bereits ein Verständnis von „Eugenik“ vorausgegangen war, welches in vielen Staaten Europas und den USA eine gesellschaftliche Akzeptanz und Gesellschaftspraxis hatte entstehen lassen, die bereits auf Minderung von sogenannten „Ballast-Existenzen“ und Förderung von „Erbgesundheit“ mittels Selektion (Zwangssterilisation) zielte. Faschon beschreibt diese Umfeld-Entwicklung nicht nur exemplarisch für einige Länder und die hierfür maßgeblichen Vereinigungen und international bekannten Persönlichkeiten, sondern macht auch deutlich, wo überall noch lange nach 1945 welche gesetzlich legitimierten Maßnahmen weitergeführt wurden und dass diese Art von „eugenischem Denken“ bis heute noch nicht gänzlich verschwunden ist.
Ausmaß der Selektion und die Legitimierungs-/ Durchsetzungsstrategien
Ein Beitrag von Karin Daecke (2024), der die Propaganda, Legalisierung-, Durchsetzungs- und Vertuschungsmaßnahmen, die Tötungsarten und Selektionskriterien genauso thematisiert wie die dahinterstehenden ideologischen Ganzheitskonstrukte. Hier standen der Selektion „Minderrassiger“ durch die Maßnahmen der von den Nazis „Ausmerze“ genannten NS-„Euthanasie“ die Existenzsicherung der arischen - als rassisch höher wertig geltenden - Neuen Menschen in Himmlers „Lebensborn“ gegenüber.
Bis das Thema T4 / NS-Euthanasie/ Krankenmorde etc. ins öffentliche Bewusstsein rückte, dauerte es lange. Bis in die 60er Jahre wurden die Krankenmorde noch an wenigen Einzelnen festzumachen versucht. Erst in den 80er Jahren rückte durch die Fernsehserie „Holocaust“ das politisch strategische Vorgehen und der Handlungskontext der Krankenmorde in den medialen Fokus (Schmuhl), wobei Ernst Klees Buch „Euthanasie im NS-Staat“ die tatsächlichen Opfer und das Scheitern der juristischen Aufarbeitung der Verbrechen sichtbarer werden ließ.
4.2. Biografische Erfahrungsberichte
Weil bislang weder die unmittelbaren noch die transgenerationellen Folgen der NS-„Euthanasie“ familienbezogen erforscht noch für Psychotherapeut*Innen auch nur annähernd ausreichend beschrieben worden sind, wird mittels anonymisierter biografischer Erfahrungsberichte versucht, den Curriculum-Lesern eine erste, persönlich vermittelte Vorstellung des Unvorstellbaren nahe zu bringen.
Hier geht es um Fragen wie: Wie konnten die Betroffenen überhaupt aus den Familien geholt werden? Wie erlebten dies die Angehörigen und wie wurde mit ihnen umgegangen? Wie reagierte das soziale Umfeld auf Abholung, Verschwinden und Wegbleiben? Wie wird an die getöteten Verwandten gedacht, erinnert? Wussten die Menschen rund um die Tötungseinrichtungen Bescheid? Welche Rolle spielte der Lebensborn für die Säuglingstötung, - sprach/ spricht man in der Familie darüber und wenn wie?
Mein anständiger Großvater
Familiengespenster
Ich entdecke meinen Großvater
4.3. Literatur
4.4. Ansprechkontexte für die Opfer und ihre Nachfahren
Eine Ermutigung der Angehörigen und Nachfahren von ermordeten, aus den Psychiatrien verschwundenen ehemaligen Patient*innen durch >Prof. Dr. med. Michael von Cranach veröffentlicht durch die DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V.) München im Ärzteblatt (Archiv/219130)
Aspis
Aspis ist ein Verein, der für die Traumageschädigten Unterstützung anbietet
Arbeitsgemeinschaft Bund der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten
für den Kontakt der Geschädigten untereinander sowie für eine Auseinandersetzung mit der noch immer nachwirkenden Stigmatisierung der Opfer in der Gesellschaft und deren Würdigung.
Arbeitskreis zur Erforschung der nationalsozialistischen Euthanasie und Zwangssterilisation
Hier haben sich Forscher*innen unterschiedlichster Fachrichtungen zusammengetan, um die Geschichte der NS-„Euthanasie“ zu erforschen, in die ihre eigenen Arbeitsstätten und/ oder Institutionen im Gesundheitswesen verwickelt waren und um darüber aufzuklären.
4.5. Gedenkorte:
Virtueller Gedenk- und Informationsort NS-„Euthanasie“
Der Gedenkort für die T4-Opfer informiert über die „Euthanasie“-Morde der Nazis an 300.000 Menschen in Deutschland und Europa.
Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde in der Berliner Tiergartenstraße 4 Hier finden sie zahlreiche (mehrsprachige) Informationen zur Vorgeschichte der NS-„Euthanasie“, zu ihrer Durchführung, ihren Nachwirkungen -und zu ihren Tätern und Opfern.
„Mutti nimm mich mit nach Haus.“ „Jüdische Mischlingskinder“ in der Tötungsanstalt Hadamar 1942 - 1945 ist ein digital zugänglicher Gedenkort ist die digitale Sonderausstellung zur NS-Kinder-Euthanasie.
In Hadamar wurden in den sog. T4-Aktionen von 1941 bis 1945 fast 15.000 Menschen ermordet
5. Stets mit im Hintergrund: Die Kriegstraumata und ihre transgenerationellen Nachwirkungen
Einleitung
Bei Kriegsende gab es in Deutschland 4 Millionen Tote und 11 Millionen kriegsgefangene Soldaten. Zweieinhalb Millionen Kinder waren Halbwaisen geworden und hatten nicht nur Vater oder Mutter, sondern oft auch Oma oder Opa verloren. Alles lag in Trümmern, die Menschen waren auf allen Ebenen entwurzelt und nicht nur in ihren leibseelischen Grundfesten erschüttert und zutiefst versehrt, sondern auch in ihrer Werteorientierung oft orientierungslos. Die Kriegstraumatisierungen wirkten sich bei allen betroffenen Gruppen aus und überlagerten auch die anderen Traumata und Weiterwirkphänomene.
5.1. Beiträge aus dem Kontext der Gestalttherapie
Die Folgen von NS, Shoa, 2. Weltkrieg und ihre gegenwärtige Resonanz in uns
Karin Daecke (Vortrag; DA-CH-Tagung Leipzig 2023). Wir nehmen uns die Zeit, zu fragen, was der Krieg in der Ukraine und seine tägliche Medienpräsenz in uns alles an aktuellen Gefühlen ausgelöst und uns über die Folgen von NS, Shoa, 2. Weltkrieg in unseren Familien und über deren Weiterwirken in uns selbst bewusster gemacht hat. Hierfür auch auf die mit dem Zivilisationsbruch verbundenen Brüche in der Realitätswahrnehmung, Werteverbindlichkeit und Bindung zu blicken und hierbei die familiär erworbenen transgenerationellen Gefühlserbschaften im Blick zu behalten, liegt nahe.
Perls’ Erfahrungen im 1. Weltkrieg
Dieser Beitrag diente als Einstieg für den Workshop „Folgen und Wirkungen des 2. Weltkrieges bis heute“ (DVG-Tagung, Nürnberg, 2022) und besteht aus einer Zitat-Sammlung. Diese wurde von Gisela Steinecke und Luitgard Gasser zusammengestellt. Sämtliche Zitate stammen aus Bernd Bocians Buch „Fritz Perls in Berlin 1893 - 1933: Expressionismus - Psychoanalyse – Judentum“ (Peter Hammer Verlag 2007)
Kriegskindheitstraumatisierungen
Dieser Vortrag von Peter Heinl (1992 auf den Bad Wildungener Psychotherapietagen) zeigt exemplarisch auf, wie verdrängte Kriegskindheits-Traumatisierungen in die Struktur psychischer und kommunikativer Prozesse ‘eingebaut’ zu sein scheinen.
Das Enträtseln unbewusster Hieroglyphen. Axiome der intuitiven Diagnostik
Vortrag (ÖAGG, Wien, 2007) von Peter Heinl. Er verdeutlicht hier, wie „Gefühle nicht nur auf den Moment bezogene Phänomene darstellen, sondern dass in ihnen, ähnlich den Jahresringen von Bäumen, frühere Gefühlsschattieren eingraviert sind.“ Sich im Prozess intuitiver Diagnostik auf diese zu beziehen, hebt das Zusammenwirken von sich selbst-organisierenden komplexen Zusammenhängen zwischen psychologischen und psychosomatischen Schmerzsymptomen, lebensgeschichtlichen Hintergründen und Kommunikationsmustern situativ und im Kontakterleben ins Bewusstsein, und setzt so auch potenziell eine Auflösung psychosomatisch bedingter Symptome in Gang.
Maikäfer flieg, dein Vater ist im Krieg von Peter Heinl (1994, Kösel/ 2015 THINKAEON). Hier wird anhand klinischer Beispiele das breite Spektrum unbewusster, auf den Zweiten Weltkrieg zurückgehender Traumatisierungen in der Kriegskindheit mit ihren lebenslangen Auswirkungen beschrieben und deren Dimension und Tragweite aufgezeigt, wobei auch die intuitive Arbeitsweise und Diagnostik des Therapeuten deutlich wird. Außerdem wird auch die große Bedeutung der durch die Kriegstraumata in der (Groß-)Elterngeneration entstandenen transgenerationellen Traumatisierungen deutlich.
Licht in den Ozean des Unbewussten. Vom intuitiven Denken zur Intuitiven Diagnostik
hier (2014, THINKAEON) hat Peter Heinl anhand von Fallbeispielen das Fundament für seine intuitive Diagnostik erarbeitet, die z.B. auch verdeutlichen, wie unbewusste Prozesse zu körperlichen Beschwerden führen können.
Die Hieroglyphen des unbewussten Traumas
Hier stellt P. Heinl (201, THINKEAON) den Wahrnehmungsprozess der Betroffenen neben den intuitiv-diagnostischen Prozess des behandelnden Therapeuten.
5.2. Beiträge aus dem Kontext der Psychoanalyse
Die Gegenwart der Vergangenheit – transgenerationale Folgen von Kriegen
Prof. Dr. Angela Moré, Leibniz Universität Hannover, Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung „Einblicke in die Psychoanalyse: Krieg im Innen und im Außen“, FB 21 der Philipps-Universität Marburg am 23. 11. 2022
A. Moré versteht die Geschichte der Kriege auch als Geschichte von Reinszenierungen und immer neuen Re-Traumatisierungen. Die Frage danach, wie die Nachgeborenen das Ungesagte erspüren, auf die inneren Bilder und Nöten ihrer Eltern mit eigenen inneren Bildern reagieren und diese sogar mit deren weggedrängten Anteilen konfrontieren können, beantwortet sie mit Wahrnehmungen aus der psychoanalytischen Gruppenanalyse, der relationalen und interpersonalen Psychoanalyse und mit Erkenntnissen Gruppenanalytikers S. H. Foulkes, insbesondere mit dessen „Matrix“ genannter Kommunikation innerhalb unbewusst vernetzter Felder zwischen Menschen.
Den im Krieg entstehenden Dynamiken nähert sie sich über R. Friedmanns „Soldaten-Matrix“ und den hier im Freund-Feind- und Hierarchieschemata entstehenden Gruppendynamiken und der sich hier entwickelnden Empathielosigkeit und Brutalität. Was geschieht, wenn sich während kriegerischer Konflikte diese Soldaten-Matrix mit der Matrix der sie umgebenden Gesellschaft immer mehr verweben kann und wie sich sogar Sieg oder Niederlage auf die Heilung der Traumata auswirken können, wird ebenso thematisiert wie die hier aufkommende Narrativbildung in den sich hier ausbildenden „Schicksalsgemeinschaften“. Über V. Volkans Blick auf die Prozesse in diesen und wie diese sowohl ausblendende als auch glorifizierende Narrative fördern, lotet sie für den Umgang mit der Vergangenheit und/ oder Gegenwart die Pole „Selbstreflexion“ und „Leugnung/ Nicht-Anerkennung von Gewalt, Genozid und Kriegsverbrechen“ aus. Hierzu verweist sie angesichts des aktuellen Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine auch darauf, dass Leugnung und Lügen „nicht nur die letzte Stufe“ von Massenverbrechen sind sondern von Anfang Teil der Verbrechensplanung und des Verbrechens selbst.
Hintergründe aus NS-Gewaltherrschaft und Zweitem Weltkrieg in heutigen Psychotherapien
Jürgen Müller-Hohagen (2015); In: GESTALTTHERAPIE (2015, 29/2, Seite 2-23); In diesem Beitrag werden nicht nur die transgenerationellen Folgen von Krieg und NS-Verbrechen/ -Mitläufertum für die nachfolgenden Generationen reflektiert, sondern hierfür auch gesondert auf die dauerhaft verunsichernden Nachwirkungen in den Familien der von Vernichtung bedrohten politisch Verfolgten geblickt, die bis zur Enkelgeneration reichen. Dies schließt eine Lücke in den bisherigen Schriften zum Weiterwirken, die aus der Praxiserfahrung schöpft. Hinter dieser stehen die Erfahrungen des Autors als Psychotherapeut und im Rahmen des von ihm und seiner Frau gegründeten Dachau Instituts Psychologie und Pädagogik - www.dachau-institut.de
Kindheit im Krieg und Nationalsozialismus. PsychoanalytikerInnen erinnern sich von Gertraud Schlesinger-Kipp (2012, Psychosozial, Gießen)
Transgenerationale Weitergabe kriegsbelasteter Kindheiten. Interdisziplinäre Studien zur Nachhaltigkeit historischer Erfahrungen über vier Generationen von Hartmut Radebold, Werner Bohleber, Jürgen Zinnecker (Hrsg. 2008, Weinheim u. München, Juventa). Die Beiträge hier sind das Ergebnis eines interdisziplinären Transfers zwischen Zeitgeschichte, Psychosomatik/ Psychoanalyse sowie Kinder-/ Jugendpsychotherapie und -psychiatrie.
5.3. Beiträge aus dem psychosozialen und gerontopsychologischen Kontext
Seelische Trümmer. Geboren in den 50er und 60er Jahren: Die Nachkriegsgeneration im Schatten des Kriegstraumas von Bettina Alberti (2010, Kösel. Mü.)
Wo geht’s denn hier nach Königsberg? Wie Kriegstraumata im Alter nachwirken und was dagegen hilft von Baer U. (2010, Semnos)
6. Theoretische Beiträge zur zeitgeschichtlichen Weiterentwicklung der Gestalttherapie
6.1. Feld- und gesellschaftsphänomenologische Aspekte
TOXISCHE ATMOSPHÄREN - Zur Rolle von Atmosphären in zwischenmenschlichen und psychopathologischen Prozessen
Zwischenarbeit von Dieter Nicka im Universitätslehrgang Psychotherapie – Fachspezifik. Integrative Gestalttherapie, Department für Psychotherapie und Biopsychosoziale Gesundheit an der Donau-Universität Krems, 2021
Die vorliegende Arbeit möchte in das Phänomen der für die zwischenmenschliche Kommunikation und Beziehung bedeutsamen Atmosphären einführen, diese definieren und der GT den Kenntnisstand hierzu vorstellen. Sie fragt hierzu auch, was das Phänomen der Atmosphäre im Beziehungsraum ausmacht, welche Funktion es hier haben kann und ob es hier auch Verbindungslinien zu psychopathologischen Prozessen gibt bzw. welche atmosphärischen Phänomene für diese bereits benennbar wurden. Hierfür wird in der Arbeit im Blick auf Überlegungen von Böhme (2007), Fuchs (2013), Petzold (1992), Griffero (2019), Francesetti, Gecele & Roubal (2016) zwischen atmosphärisch verbindenden und zerstörenden, Welt einschließenden und verlustig werdenden, gesunden und nicht gesunden Ausformungen der Kommunikation unterschieden. Für die GT ist bedeutsam, dass auch die mit Lewins Feldtheorie verbundene wissenschaftliche Auseinandersetzung G. Francesettis mit Atmosphären-Konzepten und die gestaltpsychologischen Vorstellungen von W. Metzger und K. Conrad fließen mit einfließen.
Die Atmosphärenkonzepte werden leibphänomenologisch über Verständniszugänge von H. Schmitz (2014) hierzu und G. Böhmes (2019) Kritik daran, über Merlau Pontys und Th. Fuchs‘ Leibverständnis erörtert. Über Andrea Moldzios (2002) Überlegungen zu dissoziativen und auflösungsnahen Zuständen, H. Petzolds leibphänomenologische Bezugnahmen auf Krankheit/ Gesundheit und H. Tellenbachs entwicklungspsychologische Perspektiven auf Familienatmosphären werden sie psychotherapeutisch thematisiert. Und ausgehend von der Überlegung, dass sich ein psychopathologisches Feld genuin atmosphärisch manifestiert, werden zuletzt auch psychoanalytische Konzepte wie das der projektiven Auslagerung unerträglicher Selbstanteile auf Familienangehörige und die Rolle von Atmosphären hierfür mit einbezogen. Damit bietet dieser Beitrag mit seiner leibphänomenologischen Diskurs-Basierung gute Grundlagen, um diesen Zusammenhang für uns schulen-übergreifend weiter zu vertiefen, zumal die Familienatmosphären für das Weiterwirken von NS, Shoa und Krieg für die GT (Heimannsberg 1992) eine wichtige Rolle spielen.
Verletzbarkeit Denken – Phänomenologische Beiträge zur Erfahrung von Verletzbarkeit
Florian Schmidsberger (Dr. Phil./ ÖAGG), D-A-CH-Tagung, Wien, 2021; Dieser Beitrag fördert mit Konzepten einer zeitgenössischen philosophischen Phänomenologie das Verständnis von menschlicher Verletzbarkeit, Schmerz, Verlust, Leid und von Emotionen. Verletzbarkeit verweist demnach auf unser Ausgesetzt-Sein, unser Angewiesen-Sein auf Andere und auf eine existentielle Hellhörigkeit für die herausfordernde Grundsituation unserer menschlichen Existenz. Die Konzepte erlauben sowohl ein Verständnis individueller Erfahrung, als auch der gesellschaftlichen Einbettung unserer Existenz in das kollektive Zusammenleben mit Anderen. Der Beitrag soll einen theoretischen Rahmen dafür bieten, um Erfahrungen von Krieg, Verlust, kollektiver Traumatisierung und deren Nachwirkungen auf nachfolgende Generationen begrifflich beschreiben zu können. Die philosophische Beschreibungssprache bietet konzeptuelle Mittel an, die das Vorhaben unterstützen, das Weiterwirken von NS-Gewaltherrschaft/ -Verfolgung, Shoa, Ausmerze und NS-Teilhabe in uns Nachgeborenen sichtbar und bewusst zu machen.
Ein Zeitgeschichte und Gesellschaftsentwicklung einbeziehendes Mehrgenerationen-Feldkonzept
Karin Daecke, DVG-Tagung, Berlin, 2011;
Der Feldbegriff der GT hat einen Sinnbezug auf Wirk-Zusammenhänge. Im Beitrag finden Sie erste Begriffe und Vorarbeiten für schulen-übergreifende und interdisziplinäre Anschlüsse im Kontext einer gestalttherapeutischen Erforschung transgenerationeller Weiterwirkphänomene mit Zeitgeschichtshintergrund
Feldtheoretische Bausteine.
Stützle-Hebel M., Antons K.: Die sozialpsychologische Situation von Minderheiten. Kurt Lewins Arbeiten zur Frage von Minderheiten und gesellschaftlichem Zusammenhalt und ihre Aktualität heute. In: Gestalttherapie (2 / 2018, EHP) 3 - 25.
Dieser Beitrag klärt wichtige Begriffe der Gruppendynamik (Spaltung, Minderheits-/ Mehrheitsdynamiken, Zugehörigkeits-/ Kohäsionskräfte, Lebensraum-Regionen, Gruppengrenzen, Aversions-/ Assimiliationstendenzen etc.) und ordnet diese feldtheoretisch (Lewin), interdisziplinär und zeitg(Zitate aus Bocian, Bernd, Fritz Perls in Berlin 1893 - 1933.PDF)eschichtsbewusst ein. Dies ergänzt das strukturell-phänomenologische Feld- und Tradierungsverständnis der Studie theorierelevant und ebnet einer zeitgeschichtsbewussten GT-Gruppenpraxis den Weg.
Bausteine für eine sozialkritische Gestalt-Therapie mit zeitgeschichtlichem Hintergrundbezug
Karin Daecke, EAGT-Tagungsvortrag, Berlin, 2010;
Ein strukturell-phänomenologischer Ansatz für die gestalttherapeutische Wahrnehmung von Weiterwirkphänomenen aus dem NS-Identifikationsfundus - hier festgemacht an spirituellen Weitergestaltungen und strukturellen Tradierungsphänomenen auf dem Psychomarkt.
6.2. Transgenerationelle Weiterwirk-Konzepte aus der Psychoanalyse für die GT erfassen – ein Anfang
Autonomieentwicklung und Verschmelzungssehnsucht
Karin Daecke, Paul Goodman-Tagung, Wien (D-A-CH-Dreiländertagung), 2011;
In diesem Beitrag geht es um das Ich- und Symbioseverständnis in der GT, Psychoanalyse und bei E. Fromm, wobei die spirituelle Weitergestaltung von NS-Tradierungen wie z.B. dem symbiotischen Verlangen, mit einem höherwertigen Ganzen zu verschmelzen, reflektiert wird.
Potenziale der Gestalttherapie im NS-Introjekt- und Narzissmusforschungsfeld
Karin Daecke, Gestalttherapie-Tagungsvortrag, Hamburg, 2008;
Was die Psychoanalyse auf NS-Tradierungen bezogen als Übertragungs- und Objektbesetzungsphänomen begreift, kann mit der gestalttherapeutischen Begrifflichkeit auch als tradierungsrelevantes Introjektphänomen erfasst werden. Eine erste Einführung hierzu aus meiner Praxis- und Umfeld-Erfahrung.
Gefühlserbschaften von NS und Shoa und andere Hinterlassenschaften
Vortrag von K. Daecke im gleichnamigen Workshop mit Cornelius Voigt auf der DVG-Tagung "Mitten im Fluss oder am Ufer? Die Bedeutung der organismischen Selbstregulation in Gestalttherapie und Beratung", 2022 in Nürnberg;
Hier wird auf die verschiedenen transgenerationellen Tradierungs- und Weiterwirk-Ebenen geblickt, einschließlich der Folgen von KZ, Verfolgung, Krieg und eine Entwicklungstraumata bzw. frühe Störungen bewirkende Säuglings- und Kleinkinderziehung. Diese war rigide und Empathie verweigernd. Sie störte von erster Stunde an die organismischen Selbstregulations- und Entwicklungsprozesse der Säuglinge und Kleinkinder in dem Maße, wie sich die Mütter hierzu durch BDM und Hebammen indoktrinieren ließen. Das Arbeiten im transgenerationellen Weiterwirkfeld benötigt insgesamt ein basales Holding als Setting, das in diesem Beitrag konkret anleitend angeregt wird (Beispiele). Zudem wird versucht, das transgenerationelle Weiterwirken von NS, Shoa, Krieg mit Konzepten der GT zu erfassen. Die beiden nachfolgenden Beiträge erweitern die Arbeit hierzu diagnostisch.
Zur Dynamik narzisstischer Beziehungsstruktur
Dieser Beitrag stammt von Frank Petermann (www.frankpetermann.de) - Erstveröffenung in: GESTALTTHERAPIE (2. Jg. Heft 1/ 1988, 31 - 41).
Hier wird ein beziehungsdynamisches Narzissmusverständnis erarbeitet, das auf dem Konzept eines „expended Self“ beruht, welches schon vielen Gestalttherapeuten wichtige Anregungen für ihre Arbeit gegeben hat. In dieses Konzept gehen Federns psychoanalytische Vorstellungen von dynamischen Ichgrenzen genauso mit ein wie „Fritz Perls`(1. Aufl. (1989) Klett Cotta/ dtv, S. 129) partielle Abgrenzungen und Differenzierungen dieser Vorstellungen (ebenda 154ff) über den Blick auf bipolar wirkende, holistisch gruppenbezogene (Psycho-/ Sozio-)Dynamiken (ebenda 159) und sein Narzissmusverständnis als Defizit- und Kompensationsphänomen in der Selbstentwicklung (ebenda S. 191).
Damit vermag dieser Beitrag der Gestalttherapieentwicklung im transgenerationellen Weiterwirkkontext von NS, Shoa und Krieg wichtige Anstöße und Forschungsimpulse geben. Er kann uns dabei helfen, zahlreiche nazistisch-narzisstische Tradierungsphänomene besser zu verstehen oder auch etliche der transgenerationellen Wirkphänomene, welche die Psychoanalytiker*innen mit Begriffen wie „Telescoping-“ oder „Zeittunnel-Phänomene“ etc. zu erfassen versuchen, ins GT-Verständnis zu übersetzen.
Aus der erzwungenen Konfluenz in den vollen Kontakt. Gestalttherapeutisches Arbeiten mit erwachsenen Kindern narzisstischer Eltern
Dieser Beitrag von Judith Anhammer-Sauer (zuerst veröff. in: GESTALTTHERAPIE, 36. Jg., Heft 1/ 2022 (39 – 61) zeigt, wie gut das dialogische Konzept der Gestalttherapie den Folgen narzisstischer Familiendynamiken antworten und den hiervon Geschädigten helfen kann. Um die Kontaktverzerrungen im Sog narzisstischer Beziehungsdynamiken aufzuzeigen, bezieht die Autorin Konzepte von Petermann, Yontef und Salonia mit ein. Da die NS-Gleichschaltungsideale mit ihrer narzisstisch aufwertenden Teilhabe an der „Kollektivsymbiose mit Hitler“ noch lange nach 45 in den Familien verdeckt oder abgewandelt auf andere Objekte bezogen fortwirkte, ist dieser Beitrag auch für die Erforschung der transgenerationellen Folgen von NS und Shoa sehr wertvoll, denn er leuchtet die narzisstische Dynamik zwischen Eltern und ihren Kindern aus. Er macht deutlich, was dauerhaft eingeforderte Konfluenz- bzw. narzisstische Symbiose-Erwartungen im Familienfeld bei den Nachgeborenen anrichten konnten/ können, worauf wir Therapeut*innen hier achten müssen und wie wir hier auch die Leibebene mit einbeziehen können.
7. Sozialisationshistorische und sozialpsychologische Erkenntnis-Zugänge
7.1. Sozialisationshistorische Zugänge
Adolf Hitler, die deutsche Mutter und ihr erstes Kind. Über zwei NS-Erziehungsbücher
von Sigrid Chamberlain - Buchbesprechung von J. Müller-Hohagen: Nachdem die Kinderpsychoanalytikerin Ute Benz (Dachauer Hefte Nr. 4, 1988) den Einfluss der NS-Ideologie auf Frauen erstmals wahrgenommen hat, untersucht nun Sigrid Chamberlain (1998) die „NS-Erziehung von erster Stunde an“. Dies legt im Blick auf frühe Störungen nicht nur eine strukturell angelegte Deprivation offen sondern auch die NS-Erziehungspolitik als „Erziehung durch Bindungslosigkeit“, die in die Symbiose mit der Führerschaft führte und bei den Nachgeborenen gravierende Folgen hatte.
Zur frühen Sozialisation in Deutschland zwischen 1934 und 1945 von Sigrid Chamberlain
(www.steigerweg.de)
Siehe hierzu auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Die_deutsche_Mutter_und_ihr_erstes_Kind
Jugend im Dritten Reich. Die Hitler-Jugend und ihre Gegner von Arno Klönne (1995 Piper)
Jugendliche Opposition im „Dritten Reich“ von Arno Klönne (2013; Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Erfurt, www.lzt.thueringen.de, 2. ergänzte Auflage)
„Wir hatten noch gar nicht angefangen zu leben“ - Eine Ausstellung zu den Jugend-Konzentrationslagern Moringen und Uckermark 1940 – 1945. Unbekannte – Getötete – Überlebende von Martin Guse (1992, Taschenbuch). Dieser Katalog vermittelt sehr gut, was in der Wanderausstellung gleichen Namens gezeigt wird.
Sozialisationshistorische Strukturperspektive auf die NS-Erziehung von erster Stunde an
von Karin Daecke: 2 Auszüge aus Band 3 der Tradierungsstudie, in denen es um die frühkindliche Erziehung (nach Haarer), die HJ-/ BDM-Erziehung geht und um spirituell weitergestaltete strukturelle Tradierungselemente bei den modernen psycho-spirituellen Glaubensmissionen.
7.2. Sozialpsychologische Kenntnis-Grundlagen
Erinnerung und Gedächtnis, ein Beitrag zu den Wirkungsfeldern „Familiengedächtnis – Kulturelles Gedächtnis – Kollektives Gedächtnis“ von Frau Dr. Sabine Moller (Humboldt-Universität zu Berlin) , der wesentliche Begriffe klärt, die auch im psychotherapeutischen Diskurs über transgenerationelle Gefühlserbschaften aus NS und Shoa eine Rolle spielen.
Intergenerationelle Erinnerung in der Schweiz. Zweiter Weltkrieg, Holocaust und Nationalsozialismus im Gespräch von Nicole Burgermeister & Nicole Peter (Springer VS 2014, Wiesbaden). Hier geht es um den seit den 90er Jahren begonnenen Diskurs um die Erinnerungskultur in der Schweiz
, wenn es um den 2. Weltkrieg und den Umgang der Schweiz mit dem NS geht. Das europäische Projekt „Vergleichende Tradierungsforschung“ ist hierzu interessant8. Schritte hinaus - die Tradierungskette unterbrechen
Solidarität - Wagnis und Herausforderung
Vortrag von Ingeborg und Jürgen Hohagen auf der DVG-Tagung "Spaltung ist auch keine Lösung" (2018 Schwerin). Hier wird mit transgenerationellem Blick bis zur Urenkel-Generation auf das "innere Erbe" des politisch-strategischen Kalküls der Nazis geschaut, die Gesellschaft zu spalten, dies zur Norm zu erheben und die politisch, ethisch und ethnisch Weggespaltenen existenziell auszulöschen und das Prinzip Solidarität als Überwindungskonzept dargelegt.
Wagnis Solidarität
von Jürgen und Ingeborg Müller-Hohagen (2016) - Buchbesprechung von Josta Bernstädt (In: GESTALTTHERAPIE 2016, 30/2)
Den Zirkel der Gewalt verlassen. Möglichkeiten der Aufarbeitung von Schuld im Dienste der Prävention
Prof. Dr. Angela Moré, Leibniz Universität Hannover, Vortrag bei der Konferenz der IPPNW vom 2. – 4. Oktober 2015 in Frankfurt/Main
In diesem Vortrag geht es um die Mechanismen der transgenerationalen Weitergabe, um die Folgen, die diese für die nachkommenden Generationen hat bzw. wie sich die Weitergabe bemerkbar macht und um die Frage, wie diese Tradierung unterbrochen und beendet werden kann.
Eine Schule für demokratisches Verhalten. Das Rahmencurriculum Weiterbildung Gruppendynamische/r Leiter/in von Gruppen der DGGO
Stützle-Hebel M., Antons K. (2018). In: Stähler F., Stützle-Hebel M. (Hrsg. 2018) Demokratie machen. Gruppendynamische Impulse. Carl-Auer-Systeme, Heidelberg; Dieser Beitrag geht auf die Anfänge und Grundlagen der Gruppendynamik 1968 zurück, die auf dem Impuls Lewins basierten, Deutschland aus seiner autokratisch-totalitären Denkweise zu befreien. In der Gruppendynamik geht es bis heute konzeptionell darum, die für die Demokratie relevanten Kompetenzen zu stärken, da auch die heutige Diskussions- und Gruppenkultur "oft wenig Sinn für ein demokratisches Miteinander spiegelt".
Demokratie machen. Motivation und Einführung zu einem Lesebuch mit praktischer Relevanz.
Stähler F., Stützle-Hebel M. In: Dies. (Hrsg. 2018, S.13 - 21). Demokratie machen. Gruppendynamische Impulse. Carl-Auer-Systeme, Heidelberg
Die Gruppendynamik will angesichts den immer wieder in Gruppen anzutreffenden Kämpfen um die Alphatier-Rolle den Fähigkeitserwerb zum "Homo cooperativus" entgegensetzen bzw. all den "Dominanzgebaren und Majorisierungstendenzen, die am Anderen nicht interessiert sind" mit demokratischen Tugenden begegnen. Diese will dieser Beitrag vermitteln und die hierfür bedeutenden emotionalen Entwicklungsschritte und sozialen Fähigkeiten benennen. Er erläutert hierfür den zeitgeschichtlichen und psychosozialen Hintergrund und zeigt, wie diese Fähigkeiten über eine forschende Grundhaltung und die Erfahrung der Selbstwirksamkeit in Gruppen vermittelt und erarbeitet werden können. Der Beitrag ist zugleich Buch-Einleitung.
Gruppendynamik und Demokratisierung reloaded - oder: Ist die Demokratie noch zu retten?
Hermann Steinkamp im Interview mit Monika Stützle-Hebel. In: Stähler, F., & Stützle-Hebel, M. (Hrsg.). (2018). Demokratie machen. Gruppendynamische Impulse. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme
Die Autoren fragen angesichts des Revivals autokratischer Gesellschaftsentwicklungen wie unter Erdogan, Orban und Trump oder angesichts des AfD-Zulaufs in Deutschland, ob wir noch einen tragenden gesellschaftlichen Konsens über zentrale Fragen der Demokratie haben und landen zuletzt bei der Bedeutung des Erlernens von Metakommunikation, Partizipation in subinstitutionellen Bereichen und von Verantwortungsbereitschaft. Die Bedeutung von all dem nimmt zu, wie die aktuelle politische Polarisierungs- und Irrationalismusentwicklung zeigt.
9. Bewusstwerdungsprojekte
Das Projekt www.volksopernviertel1938.at wurde an der der Gestalttherapie D-A-CH-Tagung in Schwerin 2017 von der EAGT-Präsidentin Beatrix Wimmer vorgestellt. Ausgangspunkt dieses Projektes war das Haus Fluchtgasse Nr. 7 in dem Beatrix Wimmer wohnt und ihre Psychotherapeutsiche Praxis führt. Im April 2015 wurde nach einer historischen Rechereche im Rahmen eines BürgerInnen-Projekts eine Gedenktafel am Haus Fluchtgasse Nr. 7 angebracht, auf der 26 Namen der Personen aufgelistet sind, die als Opfer des Nationalsozialismus zwischen 1938 und 1945 vertrieben, enteignet oder ermordet wurden. Ein weiteres Projekt „Severingasse 8“ im 9. Wiener Gemeindebezirk erinnert an die Familie Kandel und alle weiteren Menschen , die aus diesem Wohnhaus, aufgrund ihrer jüdischen Herkunft, zwischen 1938 und 1945 verfolgt, vertrieben und ermordet wurden. Eric Kandel erhielt im Jahr 2000 den Nobelpreis für Medizin/ Physiologie. Die Recherche zu beiden Häusern wurde durch die Historikerin Maria Czwik bereit gestellt.
Jüdische Wurzeln der Gestalttherapie. Eine Ausleuchtung im Hintergrund der Gestalt
Vortrag von Dieter Bongers (Basel) und Nurith Levi (Tel Aviv) auf der Gestalt-Tagung 2014, Motto: "Kenntnisse des Hintergrundes sind gut für die Figurbildung;"
Über die jüdischen Wurzeln der Gestalttherapie
Dieser Beitrag von Nurith Levi in der Fachzeitschrift GESTALTTHERAPIE (20. Jahrgang, 1. Heft, Juni 2006) zeigt auch, wie der Zeitgeschichts-Hintergrund in die Gestalttherapie struktur-immanent eingeht und wie sich dies bis hin zu ihrer Werte-Ebene auswirkt
10. Begegnung und Dialog wagen
A.10.1. Einleitung
Hier erfahren die Nachfahren der Überlebenden von Shoa und NS-Verfolgung und der NS-Täter/ -Mitläufer, wie bislang unbewusst gebliebene Gefühlserbschaften Befangenheit und Vorbehalte erzeugen, welche die ersehnten Annäherungen erschweren oder verhindern, und dass sie dies miteinander oder in einer Gruppe annehmen und überwinden können.
A.10.2 Erfahrungsberichte
In den folgenden zwei Beiträgen beschreiben die beiden PAKH-Mitglieder Peter Pogany-Wnendt und Erda Siebert, welche Gefühlserbschaften ihnen einst - als Nachkommen von Überlebenden und von NS-Tätern - den Kontakt zueinander erschwert haben. Sie schildern, wie sie sich den damit verbundenen inneren und äußeren Prozessen stellen konnten und welche Schritte und Hilfen sie darin unterstützt haben, diese Prozesse tiefer zu verstehen und in ein konstruktives Miteinander zu kommen. Dass dies den beiden gelungen ist, schenkt uns Mut und Zuversicht, diese Schritte selbst zu wagen:
Von den zerbrochenen menschlichen Bindungen zum mitfühlenden Dialog. Die generationenübergreifende Wiederherstellung zerstörter zwischenmenschlicher Verbundenheit.
Dieser Beitrag von Peter Pogany-Wnendt lässt uns nicht nur nachfühlen, wie sich der Autor für die aus dem Erlittenen zeitlebens fortwirkenden Gefühle seiner Eltern zuständig fühlte, sondern auch, wie deren nicht gelebte Wut-, Hass- und Rachegefühle seine Gefühlsreaktionen auf eine Täter-Nachfahrin im PAKH so dominierten, dass sie den Kontakt zu ihr immer wieder verhinderten. Er erzählt uns, wie sehr ihm die Entdeckung, dass alle diese Gefühle ins Leben seiner Eltern gehörten, dabei half, sich für sein eigenes Leben, seine eigenen Gefühle zu öffnen, wie er die bisherigen Kontaktblockaden allmählich überwand und wie mit dem Zuhören, Nachfühlen des Leids auch auf Seiten der Nachfahren der einstigen NS-Täter mit der Zeit Raum für Mitgefühl auch für sie und zuletzt sogar ein kooperatives Miteinander mit ihnen entstehen konnten.
Die Wiederaneignung des Selbst jenseits tradierter Schuld
Dieser Beitrag von Erda Siebert (2020) wurde dankenswerterweise ebenfalls dem Curriculum zur Verfügung gestellt. So können wir nun auf beide Seiten des Erlebens blicken und nachvollziehen, wie heftig sich die transgenerationellen Altlasten aus NS und Shoa im Kontakt mit der jeweils anderen Seite auswirken können. Erda Sieberts Beitrag zeigt uns, wie schwer es ist, sich aus der von der Elterngeneration unbewusst übernommenen Schuld zu lösen, und wie hilfreich sich hierfür ein mit Problemkenntnis ausgestatteter Gruppenprozess und hier insbesondere die Erfahrung der Empathie auswirken können.
A.10.2 Literatur zum Thema „Nachfahren beider Seiten begegnen sich“
History, Trauma and Shame.
Engaging the Past through Second Generation Dialogue Pumla Gobodo-Madikizela (Hrsg, 2021) Routledge; Ein 1951 geborener Deutscher besucht in den 1970er Jahren Israel. Auf der Fahrt vom Flughafen nach Tel-Aviv entwickelt sich ein angeregtes Gespräch mit dem jungen Taxifahrer. Als dieser jedoch erfährt, dass sein Gast Deutscher ist, tritt er reflexartig auf die Bremse und fordert ihn kommentarlos auf, auszusteigen. Der verdutzte Deutsche folgt der Aufforderung und bleibt alleine am Rande der Straße zurück. Seltsamerweise empfindet er nicht Wut auf den unverschämten Taxifahrer, sondern unerklärlicherweise Schuld- und Schamgefühle. Das Beispiel illustriert die Explosivität, die sogar in harmlosen Situationen des Alltags hervortreten kann, wenn sich nach dem Holocaust geborene Juden und Deutsche begegnen.
Den Abgrund überbrücken. Mit persönlicher Geschichte politischen Feindschaften begegnen
Dan Bar-On (Hrsg. 2000, edition Körber Stiftung); Dieses Buch ermöglicht uns einen tieferen Einblick in die jahrelange Arbeit des Psychologieprofessors Dan Bar-On. Deren Ziel ist es, eine nachhaltige Friedensarbeit zwischen Angehörigen verfeindeter Gesellschaften/ Gruppen und deren in die Traumata ihrer Eltern verstrickten Nachkommen zu beginnen, wie z.B. zwischen Nachfahren der Shoa-Überlebenden und der NS-Täter, der Israelis und der Palästinenser etc. Nachdem er in einer Feldstudie die moralischen und psychologischen Nachwirkungen des Holocaust auf die Nachfahren von NS-Tätern untersucht hatte, startete er viele Begegnungsprojekte, deren Teilnehmer*innen darin unterstützt wurden, einander zuzuhören, sich und den anderen zu verstehen und untereinander allmählich Vertrauen aufzubauen. Dies wurde für ihn zur Grundlage jeglicher Versöhnungsarbeit. Diese bedeutete für ihn, sich auf einen schmerzhaften und langwierigen Verstehens-/ Verständigungsprozess einzulassen. Sein Konzept wurde unter dem Kürzel TRT (to trust and reflekt) bekannt und ist seit Langem ein wichtiger Baustein in der Friedensarbeit.
B. Schritte, um das Thema persönlich zu erschließen
1. Internet-Portale bieten erlebnisnahe und kommunikative Zugänge zum Thema
1.1. Lernorientierte Zugänge – auch für den Unterricht (Deutschland, Österreich)
Das Portal der Internationalen Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem bietet differenzierte Zugänge aller Art an wie z.B. zu Archiven, Zeitzeugenberichten etc. und pädagogischen Lehrmaterialien an, wobei letzteres auch das Portal Institut für Holocaust Education erinnern.at des Österr. Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung leistet; es wendet sich hierzu mit Fortbildungen, Unterrichtsmaterialien, pädagogischen Lernwebsitesdirekt an die Lehrer*innen etc.
1.2. pädagogische und Hilfe anbietende Portale
Der Bundesverband Information & Beratung für NS-Verfolgte bietet eine ganze Palette an lernorientierten Zugängen an (sogar Theaterstücke), begleitet Betroffene aber auch zu Behörden und berät zu Fragen der Entschädigung und Altenhilfe. Er erkämpfte bis 2000 die Anerkennung für die Opfer der NS-Militärjustiz und Zwangsarbeiter*innen als NS-Verfolgte (info@nsberatung.de)
1.3 Psychotherapeutische und psychagogische Portale
Zwei von Psychotherapeut*innen mit gegründete Portale, die sowohl die im pädagogischen als auch die im psychotherapeutischen Bereich Arbeitenden ansprechen, sind
- das auf Ermutigung zu Solidarität und Engagement zielende Portal Dachau-Institut Psychologie und Pädagogik von Jürgen und Ingeborg Müller-Hohagen und
- das Holocaust und Toleranzzentrum Haus der Namen, von der Transaktionsanalyse lehrenden Psychotherapeutin Frau Dr. Ruth Kaufmann https://www.hausdernamen.at/deutsch/mag-dr-ruth-kaufmann/ gegründet wurde und einen pädagogischen Transformationsprozess in Richtung Empathie und Toleranz - z.B. über das Angebot Bertl & Adele - initiieren will.
1.4. Austausch und Begegnung ermöglichende Portale
Zwei Portale, die außerdem auch Kontakt, Begegnung, Austausch für die Nachkommen von NS-Verfolgten, Überlebenden und von NS-Tätern, Bystandern herstellen wollen, sind:
- der Arbeitskreis für intergenerationelle Folgen des Holocaust, der zur Bearbeitung transgenerationell weiterwirkender traumatischer Erfahrungen auf die therapeutische Wirkung des Erkennens und Erzählens der Familiengeschichte im Kreis anderer setzt. Der PAKH steht seit November 22 in Kooperation mit dem Curriculum der DVG und ihrer Pioniergruppe im D-A-CH-Community-Kontext zum Thema „Weiterwirken der Folgen von NS, Shoa, Krieg in den nachfolgenden Generationen“ und dessen Integration in die psychotherapeutische Lehre
- die Kriegsenkel e.V., die auf das Erkennen transgenerationeller Kriegstraumatisierungsfolgen zielt und hierzu regionale Austauschgruppen, Seminare organisiert
2. Biografien, biografische Romane, Interviews bieten einen persönlichen Zugang – eine kleine Auswahl
- Und niemals ein Ende von Nancy Amendt-Lyon (2015, Ed. Tandem, Salzburg/ Wien), deren Familie in die USA emigrieren konnte und als Gestalt-/ Lehrtherapeutin in Wien lebt und arbeitet
- in Geheimnis on Philippe Grimbert (2010), Suhrkamp, Berlin
- Früher mal ein deutsches Kind von Anne-Lise Stern (2020, Psychos. Verlag, Gießen)
- Noch ein Glück. Erinnerungen von Trude Simonsohn mit Elisabeth Abendroth (2013, Wallstein V.)
- Roman eines Schicksallosen von Imre Kertész (1996), Rowohlt Berlin-Verlag
- Kückalle 37. Eine Kindheit am Rande des Holocaust (Thomas Hübner Hrsg.) von Detlev Landgrebe und Arthur Goldschmidt – eine Geschichte über die Folgen der wirren Rassen-Zuschreibungen der Nazis - Dr. Landgrebe ist Geschäftsführer der seit 45 für die einst „rassisch“ Verfolgten nicht-jüdischen Glaubens gegründeten Vereins Notgemeinschaft der durch die Nürnberger (Rasse-)Gesetze Betroffenen (B. Gensch, S. Grabowsky (2010) „Der Halbe Stern“ S. 296)
- Das wahre „Drama des begabten Kindes“. Die Tragödie Alice Millers von Martin Miller (2013), Kreuz Verlag - In diesem autiobiografischen Buch arbeitet der Sohn A. Millers auf, wie sich der verschwiegene jüdische Familienhintergrund der Mutter weiter auswirkte, was ihr Werk aber auch die Konflikte zwischen Mutter und Sohn in ein transgenerationelles (Weiter-)Wirkungsfeld stellen und so neu begreifen lässt.
- Der Lange Schatten der Täter. Nachkommen stellen sich ihrer NS-Familiengeschichte von Alexandra Senfft (2016), Piper, Mü. - beispielreich
- „NS-Offizier war ich nicht“. Die Tochter forscht nach von Ute Althaus (2006, Psychosozial Verlag)
- Die Gedächtnislosen von Géraldine Schwarz (2018, Secession)
- Schweigen tut weh von Alexanda Senfft (2008, List Taschenbücher)
- Nicht in meiner Familie. Deutsches Erinnern und die Verantwortung nach dem Holocaust von Roger Frie (2021) Brandes & Apsel, Frankfurt/M.; Der Autor gehört der 3. Generation einer Auswanderungsfamilie an und zeigt in seiner theoriebasierten und die involvierten Lebensfelder beschreibenden Autobiografie wie der in der 2. Generation noch vermiedene Weg der Auseinandersetzung mit dem NS-Täter-Hintergrund des Großvaters, in der 3. Generation endlich gewagt und so die transgenerationelle Tradierung des (Ver-)Schweigens und der darüber solange verhinderte Dialog zwischen den Generationen für die 4. Generation wieder in Fluss kommen kann.
- Während die Welt schlief von Susan Abulhawa (2010 Diana/ Random House)
3. Gedenkstätten können ebenfalls einen anderen Themenzugang erschließen, wie z.B.:
- Die Internationale Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem
- Das Dokumentationszentrum in Nürnberg im Nordflügel der unvollendet gebliebenen Kongresshalle des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes, welches die Machtdiktion der NS.Herrschaft auf zahlreichen Ebenen vor Augen führt
- Das Jüdische Museum Berlin mit seiner Libeskind-Architektur.
- Der internationale Gedenkort zur NS-Rassenhygiene/ -Ausmerze-Politik (gemäß Euthanasie-Erlass 1939) in der einstigen Tötungsanstalt Hadamar mit der digitalen Sonderausstellung zur NS-Kinder-Euthanasie „Mutti nimm mich mit nach Haus.“ „Jüdische Mischlingskinder“ in der Tötungsanstalt Hadamar 1942 - 1945. In Hadamar wurden von 1941 bis 1945 fast 15.000 Menschen ermordet ( T4-Aktionen)
4. Recherche-Hilfen
Irgendwann kommt man bei der Sichtung des Nachlasses der Eltern und Großeltern und anderer Unterlagen aus der Familie an einen Punkt, an dem man bei der Rekonstruktionsarbeit am fragmentiert oder nur rudimentär nachvollziehbar werdenden Familien-Gedächtnis nicht mehr weiterweiß. Denn oft genug, beginnt die Suche nach den Antworten auf die leider nie zu Lebzeiten der (Ur-/ Groß-)Eltern gestellten Fragen, sehr spät, d.h. nach deren Tod oder nach dem Tod ihrer Freunde und Anverwandten.
Für die mit der Sichtung von Briefen, Urkunden, (Kriegs-)Tagebüchern entstandenen Fragen, wer eigentlich alles in der Familie nun wirklich in die NS-Verbrechen verstrickt war und wie tief und/ oder wer alles aus der Familie zu den Überlebenden von Shoa und Verfolgung zählte, gibt es niemanden mehr, den man hierzu persönlich befragen könnte. Und so bleiben nur mehr die Erkundungswege, die sich aus der Vogelperspektive aufs Ganze und hierbei mit der Fokussierung aufs Einzelschicksal abzeichnen.
Mit einer Scharfstellung in der Makro-Mikro-Feld-Fokussierung, d.h. im Blick sowohl auf den gesellschaftlichen Fakten- und Entwicklungshintergrund als auch auf die Fakten über die Familie können - unter Einbezug der bedeutsamen familiären Jahreszahlen und Erzählfragmente der Angehörigen – manche der vielen offenen Fragen konkretisiert werden. Und auf dieser Basis lassen sich dann im nächsten Schritt offizielle Auskunftsstellen einbeziehen, um mehr Licht ins Dunkel zu bringen. Was dann folgt, ist eine Phase weiterführender „Ausgrabungsarbeiten“ und Faktenabgleiche.
Um diesen Schritt vorzubereiten, gibt es im Hauptmenü (obere Menü-Leiste) des Curriculums die Rubrik Fakten- und Gesellschaftshintergrund. Hier kann man die familiären Biografie-Daten dem zu ihnen gehörenden zeitgeschichtlichen Ereignishintergrund zuordnen.
Um anschließend mit den nun schon ein wenig eingrenzbarer gewordenen Fragen weiterforschen zu können, kann man eines der zahlreichen Archive anschreiben. Um nur eine kleine Auswahl hierfür zu nennen:
- Arolsen Archives
- Yad Vashem Archive Jerusalem
- Zwangsarbeit-Archiv ab 1939
- KZ-ähnliche Lager und Betriebe mit Zwangsarbeiter*innen
- Bundes- und Landes-Archiv und hier das Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (Mitgliedschaft in NSDAP und Gliederungen, SS, SA, NS-Dozentenbund, NS-Frauenschaft, NS-Frauenwerk, NS-Lehrerbund, Reichsärztekammer etc.)
- Weitere Hilfe finden Sie auf der Webseite www.present-past.net
C. Allgemeine Hintergrunderschließung zum Thema
1. Sozialpsychologische Zugänge
Intergenerationelle Erinnerung in der Schweiz. Zweiter Weltkrieg, Holocaust und Nationalsozialismus im Gespräch von Nicole Burgermeister & Nicole Peter (Springer VS 2014, Wiesbaden). Hier geht es um den seit den 90er Jahren begonnenen Diskurs um die Erinnerungskultur in der Schweiz, wenn es um den 2. Weltkrieg und den Umgang der Schweiz mit dem NS geht.
2. Gesellschaftspolitische Sachbuch-Zugänge – eine kleine Auswahl
Autoritäre Dynamiken. Alte Ressentiments - neue Radikalität In dieser Leipziger Autoritarismus-Studie von Oliver Decker, Elmar Brähler (Hrsg. 2020) wird nicht nur die Expansion rechter Denkmuster untersucht, sondern auch welche Rolle die Polarisierungsentwicklung in unserer Gesellschaft für das Wiedererstarken der Rechten spielt und wie hierzu auch an Irrationalismustrends wie Antisemitismus, Esoterik, Verschwörungsmythen, Antifeminismus etc. angedockt wird.
Massenpsychologie und Faschismus. Der Originaltext von 1933von Wilhelm Reich (A. Peglau (Hrsg., 2020; Psychosozial); Dies ist ein Zeitzeugenbericht zur NS-Machtetablierung, der zugleich die psychosozialen Hintergründe des deutschen und internationalen Faschismus beleuchtet. Im Anhang recherchiert A. Peglau den biografisch-zeitgeschichtlichen Kontext zu dieser von W. Reich im dänischen Exil verfassten Schrift. Reich legte neben O. Gross, E. Fromm und Th. W. Adorno u.a. (1968; Der autoritäre Charakter; ISS Frankfurt) nicht nur den Grundstein zur Autoritarismusforschung sondern auch zur Gestalttherapie und zu anderen leiborientierten Psychotherapieverfahren.
Hingeschaut und Weggesehen. Hitler und sein Volk von Robert Gellately (2002) DVA
Irgendjemand musste die Täter ja bestrafen: Die Rache der Juden, das Versagen der deutschen Justiz nach 1945 und das Märchen deutsch-jüdischer Versöhnung von Achim Doerfer(2021). Dieses Buch recherchiert akribisch das, was im Erinnern meist „hinten runter fällt“: den jüdischen Widerstand. Der Autor leistet mit dieser Arbeit einen „schmerzhaften und umso notwendigeren Beitrag zur Debatte um deutsche Erinnerungskultur".
Aktion T4 Die »Euthanasie«-Verbrechen im Nationalsozialismus 1933 bis 1945 von Dr. Ingo Loose.
300 000 Menschen galten wegen ihrer Behinderung oder psychischen Erkrankung als „lebensunwert“ und wurden in Kranken- und Pflegeanstalten ermordet
Unbewusste Erbschaften des Nationalsozialismus. Psychoanalytische, sozialpsychologische und historische Studien von Jan Lohl, Angela Moré (Hrsg. Psychosozial-Verlag, 2014 – ein Sammelband
Gefühlserbschaft und Rechtsextremismus. Eine sozialpsychologische Studie zur Generationengeschichte des Nationalsozialismus von Jan Lohl (2010), Psychosozial-Verlag
Die Generationen danach. Der Umgang mit der NS-Vergangenheit - Vortrag von Margit Reiter (2006) zu ihrem gleichnamigen Buch; Sie thematisiert wie oft „Familiengedächtnis“ und „kollektives Gedächtnis“ in Widerspruch zu einander stehen, wenn auf Täter-/ Mitläuferseite über NS, Shoa, Verfolgung, Krieg in den Familien geredet wird - in Deutschland wie in Österreich. Sie zeigt auf, wie dabei über „Leerstellen“ und „Selbstentlastungsnarrative“ politisch relevante Legendenbildungen entstehen – und zwar bei außer- wie bei innerfamiliären „Gedächtnisträgern“. In ihrem gleichnamigen Buch (2006, Studienverlag/ verkürzte Diss.arbeit) veranschaulicht sie dies über Interview-Beispiele.
Fünf Jahre Tamach 1998- 2003 In diesem Bericht der bis 2014 bestehenden Psychosozialen Beratungsstelle für Holocaust-Überlebende und ihre Angehörigen in der Schweiz wird auch auf die Child-Survivors eingegangen und die häufig gestellte Frage beantwortet, ob es überhaupt Holocaust-Überlebende in der Schweiz gibt.
Literatur zum Schweizer Umgang mit dem NS
Die Last der Vergangenheit: Auswirkungen nationalsozialistischer Verfolgung auf deutsche Sinti von Heike Krokowski (2001, Campus). In ihren lebensgeschichtlichen Interviews mit Roma- und Sinti-Überlebenden von Ausschwitz-Birkenau und ihren Nachfahren wird deutlich, wie sich Verfolgung, KZ und Zwangssterilisierung auf deren Selbstverständnis und Familienleben aus(ge)wirkt (hat). Weitere Literatur sowie Infos zu den sog. „Rassenhygiene“-Maßnahmen
Die Zweite Schuld: Oder von der Last ein Deutscher zu sein von Ralph Giordano (2000), Kiepenheuer & Witsch