1. Zur Untersuchungsfrage
Vorliegende Studie untersucht die Frage, ob- im Bereich der modernen, evolutionär-programmatischen Psychologieentwicklung, die in der Folge kürzer "evolutionäre Psychologieentwicklung" oder "evolutionäre Psychologie" genannt wird, und
- in den mit ihr verquickten, spirituellen Wegführungsangebote auf dem modernen psychosozialen Markt
- politischen Gefahren für den Demokratieerhalt,
- kurativen Gefahren für die Einzelnen
Mit strukturell-faschistischen Bewusstseins-, Identifikations-, Identitätsstrukturen und den damit verbundenen Psychodynamiken sind Bewusstseins-, Identifikations-, Identitätsstrukturen gemeint,
- die einen stilisierten Bezug auf die Kultur- und Gesellschaftsentwicklung haben, welche die Entstehung und Ausbreitung der NS-Ideologie geschichtlich gebahnt bzw. mit hervorgebracht hat, weshalb ihre Typologien dem Grundbestand der faschistischen Ideologiebildung (A. Klönne) zugerechnet werden,
- die von der nationalsozialistischen Programmatik nachhaltig geprägt jedoch zeitgeistgemäß und nicht im völkisch-rassischen sondern im "evolutionär-spirituellen Eliten- und Führerschaftsbezug" ausgestaltet sind und Variationsmuster zahlreicher Phänomene aus der NS-Ideologie darstellen (z. B. in Form eines göttlichen Urwurzel- und Elitenbezugs mit spirituellem und leistungsentwicklungsbezogenem Höherentwicklungs- und Selektionsmodus bzw. sozialdarwinistischem Evolutionsbezug etc.),
Dies impliziert weitere Fragen, z. B. wie intensiv und wie extensiv diese evolutionär-ideologische Bewusstseins- bzw. Identifikations- und Identitätsbildung in den Psychomarktangeboten zur Anwendung kommt und ob sie
- den Stand individuell errungener Identitätsentwicklung, Selbstständigkeit, Mündigkeit und psychosozialer Gesundheit sowie
- den Bezug zur Demokratie und zu dem ihr zugrunde liegenden Wertekontinuum systematisch unterhöhlen oder
- ob dies nur in einigen Psychomarktprojekten der Fall ist.
Häufen sich die Elemente aus dem glaubens-, ideologie- und wissenschaftsgeschichtlichen Tradierungsfundus, aus dem einst auch die NS-Ideologie entstand, entsteht für die Untersuchung der Erziehungsprojekte auf dem Psychomarkt die Frage, ob es wegen der hierbei deutlich werdenden, strukturellen Analogien gerechtfertigt ist, von einer Bahnung und Tradierung "strukturell-faschistischer" Bewusstseins-, Identifikations- und Identifikationsformen im evolutionären Psychologie- und Psychagogikbereich und in deren Projektkontexten zu sprechen.
Diese Frage wird im dritten Band als These formuliert, die auf der Basis der beiden Fundusbände mit Hilfe einer Methoden- (Kapitel V.) und Strukturfaktorenanalyse (Kapitel VI.) erörtert wird.
Diese Tradierungsfrage bzw. -these wird nicht nur vom gemeinsamen, glaubensgeschichtlichen Grundbestand (Strohm 1995) nahegelegt, aus dem das hier untersuchte Spektrum evolutionär-ideologischer Erziehung zum Neuen Menschen schöpft. Sie drängt sich auch
- wegen der ganzheitlichen Pädagogik, der Radikalität der eingesetzten Psychotechnologien und spirituellen Übungswege und wegen den esoterischen Glaubensrezeptionen im Höherentwicklungsanspruch in den untersuchten Projektfeldern auf und
- weil hierbei schon wieder alles auf die Realisierung eines evolutionär-zivilisatorischen und -wissenschaftlichen Paradigmenwechsels zielt. Diesmal handelt es sich um den der global agierenden New-Age- oder New-Era-Evolutionsmissionen.
Deshalb wird für jede dieser Missionen untersucht, welche Vorstellungen hierzu vermittelt werden, ob ein evolutionär-politisches Elitenbewusstsein angeboten wird und wie der Verführungsstil aussieht, mit dem in die jeweilige Mission eingebunden wird. Wenn z. B. in einer Psychologieentwicklung und ihrem Projektfeld auf dem Psychomarkt geglaubt wird, dass die Umerzogenen die Führer und Führerinnen in ein Neue Zeitalter sein sollen, weil sie sich bereits auf der höchsten, zivilisatorischen Entwicklungsstufe befinden, wird weiter untersucht, ob es sich um eine strukturell-faschistische Struktur handelt.
Hierfür sind dann die - in den Evolutionsglauben einfließenden - Selbsterlösungsutopien genauso untersuchenswert wie die genutzten Ich-Überwindungskonzepte, die evolutionär-wissenschaftlichen Einordnungsverweise in höherwertige Gestaltordnungen oder der anempfohlene Nachvollzug von Selektions- und Reinigungsprozessen. Dies und die Aufforderung zur unmittelbaren und egobefreiten Nachfolge von universal gültig angenommenen Weisungen aus "transpersonal" zur Wirkung kommenden, spirituellen Führungshierarchien, die letztlich auf die kritiklose Annahme absoluter Wahrheiten und theokratischer Ordnungsmodelle abzielen, legen dann die Tradierungsfrage bzw. -these besonders nahe.
Die evolutionär-psychologischen Umerziehungsprojekte in einem multiplikatorisch so wirkungsvollen Gesellschaftsbereich wie dem psychosozialen Markt zur Ausbreitung kommen und durch den - auch in andere Gesellschaftsbereiche hinein - expandierenden Esoterikmarkt verstärkt zu sehen, forderte zur wissenschaftlichen Erörterung dieses Phänomens auf und ließ nach dessen tieferer Bedeutung sowie nach dem Gefährdungspotenzial fragen, das von ihm für unsere Demokratie und für deren stets gefordert bleibende Verlebendigung ausgeht. Darüber hinaus thematisiert der immer wieder benannte Zielbezug eines zivilisatorischen Paradigmenwechsels nicht nur eine angestrebte Wende im ethischen und normativen Gesellschaftsordnungsbezug, sondern auch im ethisch-normativen und -kurativen Anspruch von Psychotherapie. Dies fordert dazu auf, die oben dargelegte Tradierungsfrage zu stellen.