Die ideologiegeschichtlichen Strukturperspektiven

Edition Psychotherapie und Zeitgeschichte

Moderne Erziehung zur Hörigkeit?

Die Tradierung strukturell-faschistischer Phänomene in der evolutionären Psychologieentwicklung und auf dem spirituellen Psychomarkt.
Ein Beitrag zur zeitgeschichtlichen Introjektforschung in drei Bänden.


2. Die ideologiegeschichtlichen Strukturperspektiven

Neben der bereits erwähnten allgemeinen Bedeutung der ideologiegeschichtlichen Strukturperspektiven wurden auch sehr konkrete Bezugnahmen wichtig. Diese trugen zu ihrer gegenstandsbezogenen Konkretisierung bei.

In Band 1 wird diese Strukturperspektive im konkreten Geschichtsbezug gebildet und bezieht sich hierfür
  • auf den ideologisch tradierungsrelevanten Grundbestandsfundus der mit der wissenschaftlich-industriellen Revolution entstandenen Irrationalismusentwicklung in der Romantik (Stilisierungs- und Vermengungstypologien von Innen- und Außenwelten, Naturbezug und Religion (Pantheismus), auf damit verbundene Neuerungsabwehr- und Neuordnungsphantasmenbildungen etc. (S. 86 - 92, 376) und darauf wie diese strukturell-phänomenologisch in den psychologischen Wissenschaftsbereich hineinragten (S. 60 - 69);

    Während Band 1 auf die esoterische Ausgestaltung dieser wissenschaftlich-technologischen Neuerungen und ihrer neuen Energiequellen eingeht (S. 314, 321, 367 f, 376), erörtert dies dann Band 3 im Untersuchungsbezug (S. 35, 191, 261, 302, 559, 653);

  • auf den urmythischen Rasseglauben, der in der Ariosophie, im Neuheidentum und Neugermanentum bzw. neugermanisch-ariosophischen Ordenswesen herangebildet wurde, dann zum grandiosen arischen Blut- und Bodenmythos der NS-Ideologie weiterentwickelt wurde (S. 96 - 99, 181 - 223) und in das Rituell-Sakrale und Initiatisch-Liturgische ihrer Masseninszenierung einging (S. 208 - 214, 378) sowie auf deren Folgen;
  • auf den absoluten Autoritäts- bzw. expansiv-theokratischen Herrschafts- und Führerschafts-Gefolgschaftsbezug aus Kaiserreich, Preußens Monarchie und Napoleons "Sonnenkönigreich" (Ägyptenfeldzug, S. 130, 233, 252, 276 ff, 387) sowie auf dessen Weitergestaltung im politisch-irrationalistischen Blend-, Macht-, Zweckrationalitäts- und Instrumentalisierungsbezug der NS-Diktatur (S. 101 - 105, 359 - 380) und im untersuchten Ideologiebildungs- und Tradierungsfundus;
  • auf den Schicksals-, Ganzheits- und Heilbezug in der politischen Irrationalismustradition (S. 99 ff);
  • auf die neo- und sozialdarwinistischen Rezeptionen von Darwins Evolutionslehre (S. 17, 135, 367, 377);
  • auf die ideologiebildende und -tradierende Wirkung der manichäischen Glaubenslegende und deren Thanatosausrichtung (S. 121 - 163) im untersuchten Evolutionsbezug, wobei reflektiert wird, dass diese manichäisch tradierte Ideologiestruktur bis heute einen lebensverachtenden und alles Leben zerstörenden Verwertungs- und Instrumentalisierungsbezug sakralisiert und unfühlbar macht (Strohms gnostische Rationalität). Hier wird auch die Tradierung patriarchaler Herrschafts- und Machtmissbrauchsstrukturen thematisiert (kulturkritische "f"-Perspektive, S. 7, 17, 127, 132 f, 140, 195, 222, 284 f, 322, 381, Anmerkung (169));
  • auf den Zusammenhang zwischen angloamerikanischer Massengesellschaftsentwicklung und Baileys Theosophieentwicklung (252 - 308), wobei auch Spanglers evolutionär-demokratisches Focalizer-Konzept dargelegt (S. 286 - 295) und im Zusammenhang mit der politökonomisch gesellschaftssystemischen Perspektive auf neokapitalistische Verantwortungs- und Autoritätsdelegationsdynamiken (Sennett 1998) reflektiert wird.
Band 2 wendet den Kenntnisfundus des ersten Bandes mit Hilfe von hermeneutisch-pragmatischen Strukturverweisen an und erweitert ihn. Hierzu fokussiert die ideologiegeschichtliche Strukturperspektive
  • amerikanische New-Age-Einflüsse wie z. B. Maslows evolutionär-psychologischen bzw. transpersonalen Ansatz, die Angebote aus Esalen wie z. B. Aricas Körper, Geist und Psyche erfassendes Ego-Aufbruch- und Umerziehungsprogramm (Fourty-Day-Program, Enlightment und Enneagramm-Arbeit etc.) oder Capras transpersonale Tiefenökologie und Grofs holotrope Initiation im Rebirthingansatz (S. 81 - 154) oder Scientologys globales Säuberungs- bzw. Umerziehungsprogramm, das im Rahmen des New-Era-Imperiums (S. 320 - 403) expandiert. Der evolutionär-psychologische Führungsanspruch seiner Psychomarkt-Frontgroup (KVPM) und der damit verbundenen Belehrungen durch Szasz (S. 404 - 574) wird genauso erörtert wie der evolutionär-spirituelle Führungsanspruch von Scientologys Führungsebene (RTC). Hier werden insbesondere die Bezugnahmen auf Demokratie, NS-Diktatur und Holocaust und die semantischen Redefinitionsstrategien aufgezeigt und hinterfragt.
  • Psychomarktangebote aus dem deutschsprachigen Raum wie sie insbesondere von Dürckheims Rütte-Projekt mit seinem transatlantischen New-Age-Netzwerk (Frankfurter Ring, Spiritual Emergency Network etc.). Dessen Vermarktungsstrategien ließen auch die Belehrungsprojekte von Wilber und Hellinger (Familienaufstellen) einbeziehen. Auf Dürckheims Initiatische Therapie wird im NS-Hintergrundbezug eingegangen (Grazer und Leipziger Gestaltpsychologie, Forschungsausftrag der SS in Japan etc.). Hier lassen die in Band 1 erarbeiteten Strukturperspektiven Dürckheims Lebens- und Lehrweg erfassen und die Autoritäts-, Führungs- und Heilsmodelle von Wilber und Hellinger ausloten (S. 155 - 312).
Die Bezugnahme auf diese Psychomarkt-Ikonen lassen eine ideologiegeschichtliche Strukturperspektive im Vierfelderbezug erarbeiten, wobei Dürckheims Hintergrund biographische Tradierungsphänomene aus Kaiserreich und NS-Diktatur, aus völkischer Pädagogik und Gestaltpsychologie sowie aus der New-Age-Bewegung umfasst.
Band 2 untersucht hierfür seinen ideologisch-gestaltpsychologischen Grund- und Seinsbezug im konkret historischen Hintergrundbezug.

In Band 3 werden die ideologiegeschichtlichen Strukturperspektiven in Bezug auf die Tradierungsthese dargelegt (methodische Strukturanalyse: S. 60 - 89, 156 ff, 161 - 192). Hier zeigt sich ihre Bedeutung für den phänomenologisch-pragmatischen Strukturkriterienbezug (S. 151 ff, 236 - 241, 264 - 324) und die feld- bzw. mikrosoziale und tiefenpsychologische Ebene (S. 165 - 184, 241 - 254, 300 - 323, 332 - 351, 423 - 456, 497 ff, 516 - 657).
Weiter bezieht sich die ideologiegeschichtliche Grundbestandsperspektive hier nicht nur auf Tradierungsphänomene mit zeitgeschichtlichem und politökonomischem Hintergrund (S. 32 - 45) sondern auch auf die mit patriarchalem und gralsgnostisch-theokratischem Herrschaftsstrukturhintergrund rechter Tradition (z. B. im Evola-Bezug) und auf deren verdeckte Prolongation in den untersuchten Projektfeldern (S. 100 - 112, 339 - 351). Die ideologiegeschichtlichen Strukturperspektiven dienen hier auch der Bewertung des politischen Gefahrenpotenzials im Untersuchungsspektrum, wofür auch die "Beugung von Geschichte" bis in die individuelle Feldebene hinein mit beachtet wird (S. 324 - 358).
Damit implizieren sie eine politisch gesellschaftskritische Perspektive, die das Phänomen der "Stunde Null" einbeziehen lassen. Diese reflektieren die hier entstandenen Irrationalismusphänomene nicht nur im Blick auf unbewusste sondern auch im Hinblick auf bewusste bzw. politische Ab- bzw. Gegenwehrphänomene und deshalb auch im Hinblick auf eine bewusste Schwächung des emanzipativ demokratischen Potenzials der Gegenkulturbewegungen durch die Spiritualisierung ihres Widerstands (Hintergrund: "kalter Krieg" etc.).
Diese Perspektive setzt mit den 60er Jahren ein und zieht sich durch alle drei Bände. Sie bringt die Unterwanderung der einst breiten, gesellschaftskritischen Gegenkulturbewegung durch die rechte Bewegung mit ihren Esoterikprojekten und die New-Age- und New-Era-Mission mit ihren spirituellen Psychomarktprojekten in den Überblick. Sie ist demokratisch-ethisch geankert und reflektiert auf dem Hintergrund einer noch nicht aufgearbeiteten faschistischen Vergangenheit in Europa.