Die Fragmente zusammensehen: Der Irrationalismusbezug

Edition Psychotherapie und Zeitgeschichte

Moderne Erziehung zur Hörigkeit?

Die Tradierung strukturell-faschistischer Phänomene in der evolutionären Psychologieentwicklung und auf dem spirituellen Psychomarkt.
Ein Beitrag zur zeitgeschichtlichen Introjektforschung in drei Bänden.


2.1 Die Fragmente "zusammensehen": Der Irrationalismusbezug

Der ab den 90er Jahren vorhandenen soziologischen, pädagogischen und politologischen Literatur konnte entnommen werden, dass die gesichteten Irrationalismusströmungen alle aus demselben spirituell-politisch motivierten (Voegelin 1993, 1994, Strohm 1997, Gess 1994) und wissenschaftlichen (Ewald 1996 u. a.) Bewusstseinsfundus schöpfen und dass dieser einst die ideologische Entwicklung zu Faschismus und Nationalsozialismus mitgebahnt hatte. Und obwohl Ewald hierbei auch konkret auf politisch relevant gewordene, irrationalistische Strukturen in der Wissenschaftsentwicklung eingegangen war, fiel weiter auf, dass in den gesichteten Arbeiten über das moderne Evolutionsmissionsspektrum der gesamte Bereich evolutionärer, initiatischer und transpersonaler Psychologieentwicklung bislang ausgespart geblieben war. Dies verwundert um so mehr, als für eine solche Einbeziehung längst ausreichend vielfältiges Quellenmaterial zu einer näheren Untersuchung bereit gestanden hätte.

So lag es nahe, das bisher Versäumte anzugehen und für eine Erkenntnisgewinnung über Prozesse der Tradierung und Bahnung strukturell-faschistischer Bewusstseins- und Identitätsformen im evolutionär-ideologischen Gesamtspektrum
  • nicht nur alle bisherigen, seriös recherchierten und wissenschaftlich beschriebenen Erkenntnisfragmente für eine phänomenologisch strukturanalytische Untersuchung "zusammenzusehen",
  • sondern auch die Schriften von Psychagogen, evolutionär-psychologischen Schulenbegründern, Psychotherapeuten, Psychiatern aus dem modernen Evolutionsmissionsspektrum selbst zu recherchieren und mit einzubeziehen.
Hierbei sollte auch die Irrationalismuseinströmung in der Wissenschaftsentwicklung im psychologischen und pädagogischen Bereich als strukturtypologisch irrationalistisches Tradierungsphänomen im Wissenschaftsbereich Berücksichtigung finden und hinsichtlich ihrer Bedeutung für die evolutionär-ideologischen Entwicklungen in Vergangenheit und Gegenwart reflektiert werden.

Die auffallende Vermeidung von strukturorientierten Bezugnahmen im vorhandenen Literaturfundus wird über die Untersuchungsperspektive als politisches Abwehrphänomen in der Tradition der "Stunde Null" begreifbar und gehört zum Untersuchungsgegenstand.

Denn durch die bisherige, die Phänomene voneinander isolierende Fokussierung und die daraus resultierende begriffliche Unterscheidung von "neureligiöser Bewegung", "esoterischen Sekten", "neuer und alter esoterischer Rechten", "Neosatanismus", "Okkultismuswelle", "Esoterikmarkt" und "Grauem Psychotherapiemarkt" auf der einen Seite und von seriösem Wissenschaftsbereich, "operationaler und ganzheitlicher Psychologie", "neureligiösen" und östlich religiösen Expansionsbewegungen, "Neuer Mystik", "Spiritualitätssuche" und "freikirchlicher Erweckungsbewegung" auf der anderen Seite wird das moderne, evolutionär-ideologische, -spirituelle und -wissenschaftliche Irrationalismusphänomen fragmentiert und so von der ihm zuordenbaren Geschichtlichkeit abgelöst.

Dies hilft den Teil deutscher Geschichte auszublenden, der dieses irrationalistische Spektrum als Vorhut eines gesellschaftlichen Irrationalismusphänomens mit elitärem Evolutionsparadigma erkennen lässt. Darüber kann auch ausgeblendet werden, dass es ein solches irrationalistisches Vielfaltsspektrum schon einmal gab (Irrationalismustradition) und dass es in den 20er Jahren eine Bewusstseinsänderung ankündigte, die im Zivilisations- und Wertebruch des Nationalsozialismus aufging (Ewald 1996). Dies lässt bedenken, dass diese Wahrnehmungsfragmentierung (Herwig 1992) nicht nur dazu dient, spirituell-politische und evolutionär-ideologische Strukturphänomene als potenzielle Gefahrenindikatoren auszublenden, sondern auch deren Geschichtstradition. Der hierüber entstehende Skotom (Perls 1989) betrifft die Ortbarkeit eines neuen sozialdarwinistischen Evolutionsparadigmas mit globalem Erlösungsanspruch
  • im Bereich neugnostischer Glaubensbewegungen sowie
  • im ganzheitlichen erlebnis- und erfahrungsorientierten Wissenschaftsbereich von Pädagogik und Psychologie.
Die Mehrperspektivität in der Erkenntniserschließung (Petzold) dieser Studie ist so eine angemessene Antwort auf eine strukturell abwehrende, weil aufspaltende bzw. fragmentgierende und zugleich isolierende Wahrnehmung.