2.5 Nachwirkungen der "Stunde Null" in der Psychotherapie –
Neue Wege in der Narzissmusforschung
Durch den mehrperspektivischen und interdisziplinären Untersuchungsansatz in dieser Studie wird sich dem Leser nach und nach erschließen, wie wichtig die Art und Weise der Einbeziehung von Gesellschaft in den Wissenschafts-, Ausbildungs-, Praxis- und Forschungsbezug von Psychologie, Psychotherapie und Psychagogik ist. Denn in der spezifischen Weise des Gesellschaftsbezugs liegt begründet, ob hieraus ein Gefahrenpotenzial oder ein konstruktives Erkenntnispotenzial erwächst und welche Dimension dieses hat. Daran wird sichtbar, ob die psychologische und psychagogische Wissenschaft ihre Verantwortung in der gegenwärtigen Gesellschaftssituation erkennt (Flitner 1958) und übernimmt.
Zugleich konfrontiert die Studie den Leser damit, dass die bloße Vermeidung des Gesellschaftsbezugs die Gefahren einer programmatischen Vereinnahmung des hier entwickelten, humanwissenschaftlichen Know-hows und der dieses Know-how erlernenden, anwendenden und weiterentwickelnden Menschen nicht eindämmen kann.
Sie zeigt auf, dass die Ausblendung zeitgeschichtlicher Einflussfaktoren, Zivilisations- und Wertebrüche (Skotomisierung) im 3-Generationenfeld und die damit verbundene Kenntnis- und Verantwortungslücke negative Folgen hat. Denn Psychologie, Psychotherapie und Psychagogik lassen sich zu populären Instrumenten einer ideologischen Verführung machen und verfehlen so ihren normativ-ethischen und kurativ-ethischen Auftrag Mensch und Gesellschaft gegenüber.
Die Fokussierung der bislang zu beobachtenden, professionell-institutionalisierten Abwehr und Verantwortungsvermeidung und die Bearbeitung des Ausgesparten ermöglichen zugleich die gegenwartsgeschichtlich relevante Untersuchung eines programmatisch erzeugten bzw. tradierten, evolutionär-typologischen Narzissmusphänomens. Dieses wird als gesellschaftlich und glaubens- sowie ideologiegeschichtlich mitbedingte Form des Narzissmus neu reflektierbar. Denn die Forschungsperspektiven dieser Studie rücken die Untersuchung der Bahnung und Tradierung eines evolutionär-narzisstischen Abwehrkomplexes als kollektives Irrationalismusphänomen in den Untersuchungsfokus von Psychologie- und Psychotherapieforschung. Hierfür wurde die Studie mehrfach ethisch geankert: normativ-ethisch im Grundgesetz- und im EU-Chartabezug, kurativ-ethisch im professionellen Ethikbezug von Psychologie, Psychotherapie und Psychagogik und schließlich über einen Zeitgeschichte und ihre Zivilisationsbrüche kritisch reflektierenden, wissenschaftlich-ethischen Forschungsanschluss- und Verantwortungsbezug. Letzteres wird in Band 3 der Studie, Kapitel V. 1.a ausgeführt.